Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)
gegen mich sei.
»Das gehört zu ihrer Krankheit, Frau Berg-Peer, sie ist jetzt einfach sehr aufgewühlt. Das richtet sich gegen jeden, der gerade in ihrer Nähe ist. Es ist schwer für Sie als Mutter«, fährt sie fort. »Sie müssen geduldig sein, auch wenn Lena so aggressiv Ihnen gegenüber ist. Aber Sie müssen sich nicht aufopfern. Sie müssen auch nicht jeden von Lenas Wünschen erfüllen. Überlegen Sie selbst, was notwendig ist, und das reicht dann. Von Lena aus wird nie etwas ›reichen‹. Sie ist in ihrer Psychose vollkommen absorbiert von sich selbst. Und wann immer sie etwas nicht sofort bekommt, wird sie wütend. Und bei ihr wird sich dann augenblicklich ein Zusammenhang herstellen zwischen allen übrigen Situationen, in denen sie sich ungeliebt oder benachteiligt gefühlt hat. Und das wird sie alles bei Ihnen abladen. Das erfordert sehr viel Verständnis und Gelassenheit von Ihnen. Leider können wir Ihnen dabei nicht helfen. Aber Sie können sicher sein, dass wir uns gut um Ihre Tochter kümmern. Und Sie können mich immer anrufen, wenn Sie sich Sorgen machen. Ich gebe Ihnen meine Festnetznummer und meine Mobilnummer aus dem Krankenhaus. Ich rufe vielleicht nicht gleich zurück, aber ich rufe Sie bestimmt an.«
Ich habe das Gefühl, alle meine Wünsche sind erhört worden. Es ist jetzt dreizehn Jahre her, dass ich Lena zum ersten Mal ins Krankenhaus gebracht habe, und noch nie habe ich erlebt, dass eine Ärztin mich von sich aus um ein Gespräch bittet. Ebenfalls ungewohnt ist es, dass sie geduldig meine Fragen beantwortet und Verständnis für meine Situation aufbringt. Auch ihre Versprechen, mich zurückzurufen, hält sie. Und wenn ich ein persönliches Gespräch möchte, dann hat sie auch dafür Zeit. Ich wünsche uns Angehörigen mehr solcher Ärzte.
Auch Lena schätzt Frau Dr. S. Sie sei so wunderbar sachlich, erklärt sie mir. Sie könne einfach gut mit ihr reden, und die Ärztin könne ihr vieles erklären. Manchmal sei sie ein bisschen streng, und das sei gut. Offenbar ist es Frau Dr. S. gelungen, eine gute Beziehung zu Lena herzustellen, und das ist viel.
Dieses Krankenhaus scheint ein Glücksfall zu sein, aber es dauert dennoch zwei Wochen, bis Lenas Ängste und Aggressionen wieder zurückgehen. Zunächst ist sie oft noch schnell aufgeregt. Nach ihrer anfänglichen Freude, mich zu sehen, beschimpft sie mich und ärgert sich über andere Patienten. Sie seien scheußlich, sie klauten ihren Tabak, ihre Nachbarin schreie sie immer an. Und der strubbelige junge Mann komme ihr immer ganz nahe und spucke beim Sprechen. Widerlich. Und diese andere Frau mache immer das Licht im Raucherzimmer aus und stelle eklige Räucherkerzen auf. Und man könne seine Wäsche nicht waschen, wann man wolle. Der Waschraum bleibe immer verschlossen, nur ab und zu sei er zwei Stunden geöffnet. Und auch baden könne man nur an bestimmten Tagen und müsse erst die Schwestern fragen. Ich verstehe das auch nicht, das war in der vorherigen Klinik anders organisiert, Badezimmer ebenso wie Waschmaschinen standen permanent allen zur Verfügung. Es ist doch gut, wenn die Patienten selbst für sich sorgen und auch etwas zu tun haben. Und warum muss das Baden rationiert werden?
Auch beim Essen scheint man nicht daran gedacht zu haben, dass Patienten sich wohl fühlen sollten. Eine schlechtgelaunte und ungepflegte Frau schiebt einen mit Schüsseln beladenen Wagen herein. Nur nach Namensnennung bekommt der Patient einen Schlag Essen auf den Teller geklatscht. Bei einem Blick auf die Teller vergeht mir jeder Appetit. Aber die Patienten schlingen das matschige Essen in sich hinein. Es liegt an den Medikamenten, die einen unbändigen Hunger erzeugen. Ich frage mich, warum die Verpflegung so schlecht ist und so lieblos ausgeteilt wird. In Lenas vorherigem Krankenhaus haben die Patienten oft selbst den Frühstücks- und Abendbrottisch decken dürfen. Jeder konnte sich sein Essen selbst aussuchen. In Kochgruppen kauften Patienten, wenn sie schon Ausgang hatten, ein und bereiteten das Essen zu. Sie wurden so wieder an ein normales Leben herangeführt. Psychisch Kranke müssen nicht im Bett liegen. Viele wären in der Lage, einige Dinge selbst zu organisieren. Jeder weiß, wie wichtig das Essen im Krankenhaus wird. Es unterbricht die Langeweile. Und in psychiatrischen Krankenhäusern gibt es reichlich Langeweile. Könnte Kochen, Tisch decken, Essen austeilen oder Tisch abräumen nicht auch als Ergotherapie genutzt werden? Voll
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