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Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)

Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)

Titel: Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janine Berg-Peer
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hat. Die Ärztin erklärt mir, dass Lena nur schwer zu ertragen sei und ihre Mitpatienten und das Pflegepersonal an ihre Grenzen brächte. Wenn sich das nicht grundsätzlich ändere, könne man Lena nicht hierbehalten. In mir steigt Wut hoch. Ist es nicht ihr Job, sich um schwierige Patienten zu kümmern? »Sie sind doch Psychiaterin«, sage ich zu Frau Dr. R., »Sie wissen doch sicher, welche Vorgehensweise bei solchen Patienten sinnvoll ist.« Nein, sie könne nichts machen, wenn der Patient keine grundsätzliche Bereitschaft zeige, mitzuarbeiten. Und das sei bei Lena der Fall. Sie wolle ihr jetzt noch eine Bewährungsfrist von einer Woche geben, aber mehr könne sie nicht tun. Sie müsse auch die anderen Patienten schützen, dafür müsse ich Verständnis haben.
    Ich höre jedes Wort der Ärztin, aber ich will sie nicht verstehen. Ich könnte sie anschreien vor Wut. Es ist keine Charakterschwäche von Lena, dass sie so aggressiv ist, es ist ihre Krankheit, und für die darf sie doch nicht bestraft werden! Auch schwierige Patienten müssen ein Recht auf Behandlung haben.
    Lena bekommt ihre Frist, nutzt sie aber nicht. Nach drei Tagen geht sie nicht mehr hin. Es sei zum Kotzen, erklärt sie mir, und damit ist die Nachsorge beendet.
    Natürlich glaube ich nicht wirklich, dass die Ärztin es sich zu leicht gemacht hat. Natürlich muss sie sich um alle Patienten kümmern, und wenn ein Patient es für alle anderen schwierig macht, dann hat sie wohl keine Wahl. Ich weiß, wie unerträglich und erbarmungslos Lena in ihren Krankheitsphasen sein kann. Selbst ich ertrage es kaum. Aber wenn das »System« einen schwierigen Patienten gerade in so einer Situation einfach fallenlässt, wer kann dann noch helfen? Vielleicht sind Lenas Klagen über ihre Schwierigkeiten, als Manikerin mit Depressiven konfrontiert zu sein, nicht ganz von der Hand zu weisen. Vielleicht ist eine gemeinsame Therapie dieser Patientengruppen nicht sinnvoll.
    »Mich stört der Krach von den anderen Patienten. Das macht mich total nervös, ich kann mich hier nicht ausruhen«, sagt mir ein älterer Mann im Krankenhaus und erzählt, dass er Lehrer sei und wegen seiner Depressionen immer wieder freiwillig ins Krankenhaus gehe. »Ich wünsche mir einfach Ruhe, aber die gibt es hier nicht. Sie sehen doch selbst, was für ein Lärm und welches Chaos hier herrschen.« Er hätte es viel lieber, wenn um ihn herum nur depressive Patienten wären.

    Nach dem abrupten Ende des Tagesklinikaufenthalts kümmert sich niemand darum, wie es Lena geht. Sie sitzt wieder einsam in ihrer Wohnung, raucht und sieht fern. Von mir schottet sie sich ab, nimmt keinen Rat an, und wenn wir Kontakt haben, ist es meistens anstrengend und unerfreulich für uns beide.
    Nach den vielen Jahren Krankheitsmanagement habe ich resigniert. Ich glaube nicht mehr daran, dass sich noch etwas ändern wird. Lena wird immer wieder in schwere Krankheitsepisoden geraten, und mein Leben wird sich auch künftig nur um sie drehen. Darum, ihre Forderungen abzuwehren, darum, erneute Dramen zu verhindern und Katastrophen aus dem Weg zu räumen. Ich habe jeden Lebensmut verloren. In leisen Gesprächen am Rande von Tagungen haben mir auch andere Mütter davon erzählt, dass sie darüber nachgedacht haben, ihrem Leben ein Ende zu setzen.
    Natürlich siegen die Vernunft und mein Lebenswille. Es ist mein Glück, dass es mir trotz aller Phasen von Resignation und Selbstmitleid immer wieder gelingt, mich für etwas zu begeistern. Ein schönes Buch, die anderen Kinder, ein interessanter Film, nette Klienten oder Freunde bewirken, dass ich mich wieder aufrichten kann und Freude am Leben empfinde. Es hilft auch, dass ich weiß, dass eine unglückliche Mutter für Lena eine zusätzliche Belastung ist. Sie empfindet oft Schuld, weil ich ihretwegen so ein hartes Leben habe. Diese Schuldgefühle soll sie nicht auch noch haben müssen. Sie hat keine Schuld an ihrer Krankheit und braucht ihre ganze Kraft für sich.

    Ich muss etwas dafür tun, nicht selbst depressiv zu werden. Ich kann lernen, Lena zu unterstützen, ohne dabei selbst draufzugehen. Ich muss die Situation nüchtern betrachten. Lena ist wütend, das ist verständlich. Wütend auf die Krankheit, das Leben, das ihr entgeht, auf ihre eingeschränkten Rechte, auf die Betreuung. Ihre Wut ist auch die verständliche Reaktion darauf, dass ich ihr mit der Betreuung ein Stück Autonomie genommen habe. An wem, wenn nicht mir, soll sie ihre Wut auslassen? Sie weiß, dass

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