Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)
richte sie gegen Ärzte, Krankenschwestern und Mitarbeiter der sozialpsychiatrischen Dienste. Dafür, dass sie Lena nicht die Unterstützung geben, die ich von ihnen erwarte. Dafür, dass sie nicht das Richtige tun, nicht frühzeitig helfen. Es ist ihre Schuld, dass es meiner Tochter nicht bessergeht. Sie könnten engagierter sein, sie könnten Lena davon überzeugen, ihre Tabletten regelmäßig zu nehmen, und mir mehr Informationen geben. Ich habe es ihnen zu verdanken, dass ich nicht das Leben führen kann, das ich gern führen würde. Ein Jahr in Indien leben oder den Winter im Warmen verbringen oder im Sommer mit Hingabe meine Rosen pflegen, oder in ein kleines Reetdachhaus am Deich ziehen. Oder kambodschanischen Mönchen drei Monate Englischunterricht geben. Alles das kann ich nicht tun. Ich muss hierbleiben, ich darf Lena nicht alleinlassen, ich muss auf sie aufpassen, weil es sonst niemand tut.
Ich bin es so leid, immerwährend Verständnis für alle Seiten aufbringen zu müssen. Allmählich verstehe ich auch Lena besser: ihre ungeheure Wut auf mich, auf die Betreuerin, auf die ganze Welt. Sie weiß nicht, ob sie jemals durch Europa fahren, Arabisch lernen oder Psychologie studieren kann. Oder ob sie jemals Kinder haben wird. Sie hat allen Grund, wütend zu sein, selbst wenn ich manchmal Opfer dieser Wut bin.
Natürlich weiß ich, dass meine Wut auf Ärzte und auch alle anderen Institutionen des sozialpsychiatrischen Systems ungerechtfertigt ist. Ich weiß, dass keinen Arzt eine Schuld an Lenas Krankheit trifft oder daran, dass ihre Genesung nicht so voranschreitet, wie ich es mir wünsche. Ich bin sicher, dass es in den Einrichtungen Mitarbeiter gibt, die Eltern unterstützen und sich engagiert für psychisch Kranke einsetzen. Es gibt nette und fürsorgliche Schwestern, auch wenn wir diese nicht überall erlebt haben. In den letzten Jahren haben Lena und ich junge Ärztinnen und Ärzte kennengelernt, zu denen Lena Vertrauen hatte, die mit mir sprachen, wann immer ich das Bedürfnis hatte, und die mich mit einbezogen. Lena hat inzwischen eine großartige Soziotherapeutin, und auch Dr. K. verdanken Lena und ich viel. Es gibt viel zu verbessern im Versorgungssystem für psychisch kranke Patienten, und ich wünsche mir oft mehr Einfühlungsvermögen und Engagement, nicht nur Lena und mir gegenüber. Aber psychische Krankheiten und vor allem Schizophrenie sind bösartige Krankheiten, die für Betroffene und ihre Angehörigen schweres Leid bedeuten, auch wenn das System besser und Ärzte freundlicher wären.
Wenn ich in Ruhe nachdenke, dann wird mir – leider – klar, dass ich das Gleiche tue, was mich manchmal bei Lena stört: Ich schimpfe auf Ärzte und die Sozialpsychiatrie, ebenso wie Lena gegen ihre Betreuerin und mich wettert. Ich suche die Schuld bei Ärzten, wie Lena alle Schuld darin sieht, dass ihre schreckliche Mutter ihr kein Geld gibt oder sie hat entmündigen lassen. Manchmal brauchen wir einfach jemanden, dem wir die Schuld zuschieben können. Es ist sonst zu schwer zu ertragen, was uns passiert ist. Aber dennoch weiß ich, dass Lenas Ärzte und die Schwestern und der SPD nicht schuld sind. Und in unseren guten Zeiten weiß Lena, dass auch ich nicht schuld bin. Niemand hat Schuld an Schizophrenie. Shit happens.
Was belastet uns Angehörige?
Jeder ist bestürzt, wenn ich erzähle, dass meine Tochter an Schizophrenie leidet. Jeder zeigt Verständnis, wenn ich von den Belastungen spreche. Jeder kann sich vorstellen, wie furchtbar es sein muss, wenn ein Kind an Schizophrenie erkrankt. Aber viele der für Angehörige belastenden Aspekte ließen sich durch mehr und frühzeitige Aufklärung zumindest reduzieren.
Mit der Katastrophe, die 1996 über Lenas und mein Leben hereinbrach, hätte ich besser umgehen können, wenn wir frühzeitig und einfühlsam aufgeklärt worden wären. Lena und ich fühlten uns mit unserer Angst und unserer Hilflosigkeit alleingelassen. Vor allem die geringe Bereitschaft oder auch Unfähigkeit von Psychiatern und Therapeuten, mit uns zu sprechen, uns die Krankheit oder, noch wichtiger, den Umgang damit zu erklären, war anfangs die größte Schwierigkeit für mich. Anderen Angehörigen geht es ebenso. Niemand hat mich bis heute davon überzeugen können, dass es die Schweigepflicht sei, die Ärzte uns gegenüber so sprachlos macht. Sie verbietet keinem Arzt, nach Diagnosestellung ein ausführliches Gespräch mit den Eltern zu führen und zu erklären, was für eine
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