Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)
selbstgekochten Köstlichkeiten, die sie kunstvoll serviert. Lena ist eine großartige Köchin.
Zwei Monate nach Lenas Einzug bekomme ich einen Anruf von einer freundlichen, aber besorgten Dame der Hausverwaltung. Sie müsse mir leider sagen, dass die Nachbarn sich massiv beschwerten. Lena würde nachts schreien und Gegenstände durch die Wohnung werfen. Die Musik sei so laut, dass niemand schlafen könne. Ob ich mir das erklären könne? Mir wird ganz schlecht. Ja, ich kann es mir erklären, aber das sage ich der freundlichen Dame nicht. Ich versichere ihr, dass ich sofort mit der Betreuerin und mit Lena sprechen würde. Es würde nicht wieder vorkommen.
Ich sitze bewegungslos neben dem Telefon. Die Wohnungssuche, der Umzug, das viele Geld, der Versuch, alles schön für sie zu machen – alles umsonst. Als ich bei Lena ankomme, ich hatte vorsichtshalber einen Schlüssel behalten, sehe ich sofort, in welchem Zustand sie ist. Es hat keinen Zweck, sich aufzuregen oder ihr Vorwürfe zu machen. Ruhig setze ich mich mit ihr hin und erzähle ihr von dem Anruf der Hausverwaltung, weise aber gleich darauf hin, dass die Dame sehr nett gewesen sei und ihr auch nicht kündigen wolle. Sie müsse eben nur auch an die anderen Mieter denken. Ich will nicht, das Lena sich wieder in einen Hass auf die Hausverwaltung hineinsteigert.
Lena erzählt von ihren Panik- und Aggressivitätsattacken. Sie schimpft über die Nachbarn. Alle seien gegen sie – wie immer. Sie könne doch nichts dafür, diese Attacken kämen einfach so, dagegen könne sie nichts tun. Wenn Lena nichts tun kann, dann muss ich etwas tun. Oder jemanden finden, der etwas für sie tun kann. Ich sehe ihr an, dass sie ihre Tabletten nicht mehr nimmt. Sie ist wieder schlank und extrem nervös. Ich bin klüger geworden, fange nicht an aufzuräumen, mache ihr keine Vorhaltungen, breche nicht in Tränen aus. Da Lena keinesfalls ins Krankenhaus will, erzähle ich ihr vorsichtig und ohne zu drängen von Einrichtungen außerhalb des Krankenhauses. Und tatsächlich gelingt mir ein kleiner Durchbruch: Ich darf mich nach diesen Möglichkeiten erkundigen.
Odyssee durch das sozialpsychiatrische Paradies
Lenas Psychiater hat immer ein frühzeitiges Eingreifen empfohlen, damit eine neue Krise verhindert werden kann. Alle Bücher, die ich gelesen habe, bestätigen die Notwendigkeit, frühzeitig einzugreifen. Es soll zwei bis drei Tage dauern, bis eine Psychose voll ausbricht. Wenn es also gelingt, frühzeitig zu intervenieren, dann kann der Ausbruch verhindert werden. Nachdem ich nun auch weiß, dass jede heftige Episode Spuren im Gehirn hinterlassen kann, bin ich fest entschlossen, Hilfe für Lena zu organisieren, sofern sie es zulässt. Dieses Mal habe ich ihre Erlaubnis. Die Stadt, in der wir leben, ist ein sozialpsychiatrisches »Paradies«, wie ein Chefarzt lächelnd bei einer Tagung sagt. Es gibt mehr Psychiater als in anderen Bundesländern oder Städten, es gibt zahlreiche Kliniken und andere Institutionen, die Hilfe versprechen, es gibt selbstorganisierte Projekte. Es gibt Tageskliniken, in denen Menschen tagsüber Halt, Beschäftigung und Therapie geboten wird, ohne dass sie aus ihrer vertrauten Umgebung gerissen werden. Dann sollte es doch auch eine Institution geben, die Lena und mir helfen kann, selbst wenn Lena nicht ins Krankenhaus will.
Meinen Glauben an dieses angeblich so paradiesische sozialpsychiatrische System habe ich eigentlich schon lange verloren. Lena ist bereits seit einem Jahr aus dem »Netz« gefallen. Ist es Lenas Schuld? Nach Beendigung der Arbeitstherapie war zwischen ihr und dem Arzt der letzten Klinik vereinbart worden, dass sie ihn einmal im Monat in der Institutsambulanz des Krankenhauses aufsucht. Sie war zufrieden mit dieser Lösung, sie mochte den Arzt. Ich war froh, denn er kannte sie und würde in der Lage sein, sie zu stützen, und frühzeitig erkennen, wann verstärkt Hilfe für sie notwendig wäre. Eine Zeitlang hielt Lena diese Termine ein. Als ich sah, dass es ihr wieder schlechter ging, habe ich sie dazu ermuntert, auch ohne Termin in die Institutsambulanz zu gehen. Ich hatte geglaubt, dass genau dazu die Institutsambulanz da wäre: schnell zu erkennen, wenn eine Krise droht und frühzeitig Hilfe anzubieten. Leider war der Arzt nicht da, als Lena kam. Es gab auch keine Vertretung, mit der sie hätte sprechen können. Stattdessen wurde meiner äußerst erregten Tochter geraten, doch in drei Wochen zum vereinbarten monatlichen Termin zu
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