Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)
furchtbare Krankheit Müttern angelastet wird, und weshalb akzeptieren wir diese Anschuldigungen insgeheim auch?
Die These, dass »schreckliche Mütter« ihre Kinder in die Schizophrenie treiben, hat eine lange Tradition. Nachdem man nicht mehr glaubte, die Krankheit werde durch böse Geister, schwarze Galle, übermäßiges Onanieren oder auch Satan hervorgerufen, geriet allmählich die Familie und vor allem die Mutter als Verursacherin in den Blick. Jetzt waren es die frühkindlichen Traumata durch falsches Erziehungs- und Beziehungsverhalten von Müttern, die zu Schizophrenie führten. Die These von der schizophrenogenen Mutter, der Schizophrenie hervorrufenden Mutter, besagt, dass diese ihre Kinder durch Überfürsorglichkeit und dominantes Verhalten in die Verrücktheit treibt. Diese Mutter unterscheidet nicht zwischen eigenen Bedürfnissen und denen des Kindes und behindert damit dessen Identitätsentwicklung. Die Folgen können Ich-Schwäche, Schwierigkeiten mit der Durchsetzung und mit angemessenem Verhalten sein. Oft fällt es solchen Personen schwer, mit Niederlagen oder Kränkungen umzugehen.
Weiterentwickelt wurden die Schuldzuweisungen an Mütter mit der Doppelbindungstheorie. Kinder werden in die Schizophrenie getrieben, weil Mütter widersprüchliche Botschaften aussenden: Wenn eine Mutter ihrem Kind sagt: »Ich liebe dich«, aber gleichzeitig mit distanziertem Gesichtsausdruck den Versuch des Kindes abwehrt, sie zu umarmen, ist das für das Kind verwirrend und kann zu der emotionalen und kognitiven Verwirrung führen, die auch ein Merkmal von Schizophrenie ist. Systemische Ansätze gehen von einer Störung des Familiensystems aus: Eine Person wird » ausgewählt « und muss krank sein, damit alle anderen gesund sein können. Dann wurde festgestellt, dass Psychotiker häufig aus High-Expressed-Emotions-Familien stammen. Das sind Familien, in denen Kritik heftig geäußert wird und der Betroffene an seinen Problemen selbst »schuld« sein soll. Statt Wünschen werden Befehle geäußert. High Expressed Emotions wirken sich negativ auf den Heilungsprozess von Schizophreniekranken aus.
Es gibt sie, diese Verhaltensweisen und Erziehungsstile, es gibt strenge Mütter oder solche, die widersprüchliche Botschaften aussenden oder auch ihre Kinder bevormunden. Aber einen wissenschaftlich haltbaren Beweis dafür, dass diese Verhaltensweisen zu Schizophrenie führen, gibt es meiner Kenntnis nach nicht. Interessant ist, dass die »Schuldfrage« auch bei neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen immer wieder ihren Platz findet.
Schuldgefühle wurden bei mir oft durch gedankenlose Äußerungen verstärkt. Äußerungen, mit denen Menschen in meiner Umgebung ihre Überzeugung zum Ausdruck bringen, dass mütterliches oder auch elterliches Fehlverhalten psychische Krankheiten hervorrufen, gehören zu den Belastungen, die nicht durch die Krankheit selbst entstehen. Ich weiß schon, was kommt, wenn sich dieser wissende Gesichtsausdruck auf dem Gesicht eines Gesprächspartners ausbreitet. »Aha!«, denkt er dann, daher also.
»Das war aber auch für Lena ganz schwierig, dass ihr euch getrennt habt!«, ist die unmittelbare Reaktion einer Freundin, der ich gerade von Lenas Diagnose berichtet habe.
»Aha!« sehe ich in den Augen meiner Tischnachbarin, der ich erzähle, dass Lena zum Zeitpunkt meiner Scheidung erst acht Jahre alt war. Noch so ein Blick folgt, wenn auch bekannt wird, dass ich während Lenas Jugend immer berufstätig war. Und das »Aha!« sah ich auch im Gesicht von Dr. C., als er bei Lenas erstem Krankenhausaufenthalt mit diagnostischem Scharfblick feststellte, dass sie und ich eine symbiotische Beziehung haben. Manchmal dient auch meine Persönlichkeit als Erklärung für Lenas Krankheit. »Sie sind aber auch eine dominante Frau«, findet ein Kollege, als ich ihm erkläre, dass meine verquollenen Augen auf die Diagnose Schizophrenie bei meiner Tochter zurückzuführen seien. Auch nicht direkt auf mich bezogene Aussagen können mein Schuldgefühl nähren. »Die Scheidung damals war aber auch wirklich schwierig für den Jungen, die Eltern haben sich unmöglich verhalten.« »Die Mutter war immer schon etwas hysterisch, das wundert mich gar nicht!« »Ich habe dem Vater damals schon gesagt, dass …« Gekrönt werden Aufzählungen von elterlichen Verfehlungen immer mit einem »Ich bin überzeugt davon, dass …«
Für mich bleibt es erstaunlich, wie sicher sich Laien über die Ursachen von Schizophrenie
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