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Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)

Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)

Titel: Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janine Berg-Peer
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noch nicht aus den Köpfen aller Ärzte, Therapeuten und auch Angehörigen verschwunden ist.
    Es gibt noch andere Erklärungen für den Widerstand gegen Therapie und Medikamente. Einer ist sehr naheliegend: Neuroleptika machen häufig dick, führen zu Libidoverlust und Impotenz und dämpfen die Lebensfreude. Es kann also auch eine sehr rationale Entscheidung und nicht Mangel an Einsicht sein, wenn jemand seine Medikamente nicht nehmen will. Eine weitere Erklärung ist Anosognosie, eine durch eine Verletzung des Gehirns verursachte Unfähigkeit zu erkennen, dass man krank ist. [8]   Es gibt Menschen, die nicht erkennen, dass einer ihrer Arme gelähmt ist, obwohl sie ihn eindeutig nicht bewegen können. In diesen Fällen fehlt ihnen nicht die Einsicht, sondern sie sind tatsächlich nicht in der Lage, es zu erkennen. Und ich sehe auch noch einen weiteren Grund: Es ist nicht leicht, eine bösartige Krankheit als Teil seiner selbst anzunehmen und ihre Folgen für die eigene Zukunft zu akzeptieren. Die junge, vitale, unternehmungslustige Lena wollte nicht behindert sein, sie wollte ihr Leben nicht nach der Diagnose Schizophrenie richten. Das war nicht unbedingt fehlende Einsicht, sondern eine Entscheidung dafür, die Krankheit nicht zu akzeptieren und damit ein »normales« Selbstbild aufrechtzuerhalten. Es ist für einen jungen Menschen, der das ganze Leben noch vor sich hat, sehr schwer, einzusehen und zu akzeptieren , dass sich viele seiner Pläne und Hoffnungen nicht oder noch nicht verwirklichen lassen. In einer Lebensphase, in der Unordnung, Abenteuer, Aufregungen und spontane Entscheidungen angesagt sind, soll er ein strukturiertes Leben führen, mit wenig Stress, gesundem Essen und möglichst regelmäßiger Bewegung.
    Es ist ein verzweifelter und auch mutiger Kampf um Autonomie, wenn jemand sich der Diagnose »psychisch krank« nicht unterwerfen will. Als Lena nach über zehn Jahren akzeptierte, dass sie krank ist, war das zunächst kein Durchbruch, sondern sie war traurig und resigniert. Sie hatte eingesehen , dass sie nie etwas erreichen würde, dass nichts von dem geschehen würde, was sie sich für ihr Leben gewünscht hatte. So sah sie das zu dieser Zeit.
    Ich weiß und Lena weiß es inzwischen auch, dass der Kampf gegen die eigene Krankheit dem Genesungsprozess entgegenstehen kann. Aber ich habe gemerkt, dass Lena Krankheit und Einschränkungen eher akzeptieren kann, wenn jemand ihre Gründe für die Ablehnung versteht. Sie hat das Glück, sowohl einen Arzt als auch einen Therapeuten und eine wunderbare Soziotherapeutin zu haben, denen es gelingt, sie zu verstehen und Hilfe anzubieten, die sie akzeptieren kann. Ich halte es nicht für wichtig, Krankheitseinsicht zu fordern. Der amerikanische Psychiater Xavier Amador beschreibt in seinem Buch I’m Not Sick, I Don’t Need Help (Ich bin nicht krank, ich brauche keine Hilfe) seine Vorgehensweise. Statt auf Krankheitseinsicht zu bestehen, konzentriert er sich in seinen Gesprächen darauf, was der Erkrankte sich vom Leben erhofft, welche Wünsche und Ziele er hat. Es ist kein Ziel , sich zu wünschen, dass ein Symptom weggeht , das etwas einfach nicht mehr da ist . Es ist auch kein Ziel , zu lernen, mit der Krankheit umzugehen. Ein Ziel wäre es, zu arbeiten, Bilder zu malen, wieder Bücher lesen zu können, eine schöne Wohnung und eine Liebesbeziehung zu haben. Und dafür kann es sich lohnen, zu lernen mit der Krankheit umzugehen, Tabletten zu nehmen oder regelmäßig zur Therapie zu gehen. Dann sind Tabletten oder therapeutische Angebote ein Mittel, um die eigenen Ziele zu erreichen. Wenn man so vorgeht, wird den Patienten Würde und Autonomie zugestanden.

Böse Geister oder »schreckliche Mütter«?
    Wie eine schwere dunkle Wolke hängt die Schuldfrage ständig über uns Angehörigen. Vor sechzehn Jahren war ich überrascht, als Lenas Psychiaterin mir sagte, dass ich keine Schuldgefühle haben müsse. Nun ist es schon erheiternd, wenn man dazu aufgefordert wird, ein bestimmtes Gefühl nicht zu haben. Es ist so eine Eigenschaft von Gefühlen, dass sie nicht verschwinden, wenn man meint, sie bräuchten nicht da zu sein. Aber ich hatte ohnehin keine. Warum auch hätte ich Schuldgefühle haben sollen?
    Jahre später hätte mir dieser gutgemeinte, wenn auch in dieser Situation etwas törichte Rat vielleicht gutgetan, denn inzwischen hatte ich Schuldgefühle. Es bleibt gar nicht aus, dass man sich mit der Schuldfrage auseinandersetzt. Wie kommt es, dass eine so

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