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Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)

Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)

Titel: Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janine Berg-Peer
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oder anderen psychischen Störungen zu sein scheinen, obwohl die Wissenschaft immer noch intensiv dabei ist, die exakten Ursachen herauszufinden. Ich bestreite nicht, dass Stress oder Schwierigkeiten im Mutter-Kind-Verhältnis bei vulnerablen, also verletzlichen Kindern Schaden anrichten können. Aber es tut mir weh, wenn Menschen so gedankenlos einen kausalen Zusammenhang zwischen elterlichem Verhalten und schweren psychischen Erkrankungen herstellen.
    Es ist legitim, jemanden nicht zu mögen, ebenso wie man zu Recht ein bestimmtes Verhalten von Eltern nicht in Ordnung finden kann. Nur die kühne Annahme, dass unsympathische oder sich falsch verhaltende Eltern die Macht haben, Schizophrenie hervorzurufen, bleibt für mich erstaunlich.

    Viele Laien wissen nicht nur genau über die Ursachen Bescheid, sondern sie wissen auch, wie wir uns unseren kranken Kindern gegenüber verhalten sollen. Es gibt gutgemeinte Ratschläge, die das Gegenteil von dem erreichen, was sie möglicherweise beabsichtigt haben. »Das kannst du dir doch nicht gefallen lassen!« »Lena ist wirklich total verzogen!« »Denk doch an dich, sie nutzt dich aus!« Bei solchen Sätzen zieht sich mir der Magen zusammen.
    Ich darf Lena kritisieren, über sie schimpfen, sie weit weg wünschen. Aber ich kann es nicht ertragen, wenn schlecht über sie gesprochen wird. Außerdem schwingt bei diesen Aussprüchen immer die Vorstellung mit, dass Lena »ungezogen« oder rücksichtslos sei. Dass sie mit konsequentem Verhalten schon lernen werde, sich vernünftig zu verhalten. Aber Lena ist krank, nicht »ungezogen«, wenn sie sich in dieser Weise verhält. Sie kann in dem Moment nicht anders. Menschen, die mir geholfen haben, haben mich darin bestärkt, auch mal nicht ans Telefon zu gehen. Mir eine freie Woche zu gönnen. Trotz Lenas Krankheit eine Reise zu unternehmen, gut essen zu gehen, Lenas Geldforderungen nicht nachzugeben. Kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn ich etwas für mich tue. Sie haben das getan, ohne gleichzeitig Lena zu kritisieren.
    Bitte sprecht nicht schlecht über Lena, auch wenn ich es tue.

    Es ist nicht mehr politisch korrekt, von mütterlicher Schuld zu sprechen, aber mit einem geschickten Trick bleibt die »Schuld« doch bei den Eltern. Auch beim aktuellen multifaktoriellen Ansatz als Ursache für Schizophrenie spielt die Umwelt, und damit auch die Mutter, eine wichtige Rolle. Kaum jemand behauptet heute noch ernsthaft, dass Mütter Schizophrenie hervorrufen, aber losgelöst vom wissenschaftlichen Forschungsstand lebt die schizophrenogene Mutter im Gedankengut von Fachleuten und Laien weiter. 2012 (!) erklärt ein Hochschullehrer und Psychologe bei der Woche der seelischen Gesundheit, dass die These der schizophrenogenen Mutter leider häufig missverstanden worden sei. Auch der multifaktorielle Ansatz gehe doch davon aus, dass der frühkindlichen Umwelt eine große Bedeutung beikäme. Und das sei doch nun einmal die Mutter … Das Publikum nickt wissend, wir anwesenden Mütter blicken schuldbewusst zu Boden.
    Und weil unser Beitrag an der Krankheitsentstehung so groß ist, ist auch der von uns geforderte Beitrag zur Gesundung riesengroß. Es gibt vieles, was wir nicht dürfen, gleichzeitig aber vieles, was wir müssen. »Menschen mit psychischen Erkrankungen brauchen eine besonders liebevolle Umwelt, Sie müssen immer für die Kranken da sein«, wird uns von Psychiatern gesagt. »Sie müssen konsequent sein und nicht immer den Bedürfnissen Ihrer Tochter nachgeben. Gehen Sie nicht ans Telefon und geben Sie ihr kein Geld. Sie muss lernen …«, kommt von anderer Stelle. »Sie dürfen nicht so viel Kritik äußern, denn das behindert den Heilungsprozess«, habe ich auch gehört. Bei uns liegt eine immense Verantwortung. Und wir stellen uns ihr. Wir tun das alles. Wir passen auf, wir bemühen uns, konsequent zu sein, wir versuchen, gleichbleibend liebevoll zu sein und nicht zu kritisch. Aber auch nicht überbehütend oder gar permissiv. Wir versuchen, allen diesen widersprüchlichen Anforderungen gerecht zu werden. Wir versuchen das alles täglich bis hin zur Selbstaufgabe, zum finanziellen Ruin und zur eigenen Erkrankung. Aber auch das dürfen wir eigentlich nicht zulassen, denn eine kranke, schwache Mutter ist keine stabile Umwelt für ein an Ich-Schwäche leidendes Kind.
    Und weil das alles kaum auszuhalten ist, wehren wir uns gegen diese Schuldzuschreibungen. Wir wollen nicht schuld sein, das können wir nicht aushalten. Mit

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