Schläfst du schon?
war eine nette Frau gewesen, die aber ständig in Hektik zu sein schien, weil sie alles unter einen Hut bringen wollte: den Vollzeitjob, die Erziehung ihrer beiden Kinder und den Haushalt. Auf ihn hatte sie immer einen abgezehrten, besorgten Eindruck gemacht. Er wusste, dass Hannah in Angst vor Armut aufgewachsen war, und ihm wurde nun bewusst, dass sie finanziell vollkommen vom “Norfolk Inn” abhing, und zwar sehr viel mehr als Tara oder Alexi, die beide ihre Eltern um Hilfe bitten konnten, wenn sie Probleme haben sollten.
Das Hotel war noch nicht lange wieder eröffnet und noch dabei, sich einen Ruf zu machen. Renovierungen waren nötig gewesen, alle ziemlich kostenaufwendig, und die drei Freundinnen hatten einen Kredit aufgenommen, um die Kosten zu decken. Dwight konnte sich nicht vorstellen, dass die Einnahmen bereits genügend abwarfen, damit Hannah mit ihrem jetzigen Einkommen auch noch ihre Mutter unterhalten konnte. Wahrscheinlich würde es sogar eine ganze Weile kaum für sie allein ausreichen.
Diese Gedanken weckten Gefühle in ihm, die er im Zusammenhang mit Hannah lieber nicht empfunden hätte.
“Mach dir keine Sorgen darüber, okay, Mom?” Ihre Stimme klang beruhigend, so, wie eine Mutter zu ihrem Kind reden würde, nicht umgekehrt. “Michael und ich werden mehr schicken. Wir kümmern uns um alles. Aber jetzt muss ich auflegen. Ich habe einen Kunden. Ja, ich werde dich öfter anrufen. Ich liebe dich auch. Mach’s gut.”
Langsam legte sie den Hörer auf, den Blick auf einen fernen Punkt gerichtet. Sie schien Meilen entfernt zu sein. Wahrscheinlich überlegte sie, wie sie noch mehr geben sollte, wo sie doch schon ihr ganzes Leben lang immer alles gegeben hatte.
Sie ist so wunderschön, dachte Dwight. Aber in diesem Moment zog ihn nicht ihre körperliche Schönheit an, sondern ihre innere, ihr Mut und ihre Willenskraft. Mach dich bloß aus dem Staub, sagte er sich. Du machst hier nur Urlaub von einem anspruchsvollen Job, der es dir nicht erlaubt, dich auf eine Frau wirklich einzulassen, selbst wenn du wolltest. Und du willst ja auch gar nicht. Geh jetzt einfach raus.
Stattdessen ging er auf Hannah zu. “He”, sagte er leise. “Bist du okay?”
Sie fuhr leicht zusammen und sah ihn einen Moment verwirrt an, bevor sie wieder ein Lächeln aufsetzte. Damit konnte sie vielleicht ihre Kunden täuschen, weil es ein hübsches, freundliches Lächeln war, aber ihm konnte sie nichts vormachen, weil er sah, dass hinter ihrem Lächeln keine Unbekümmertheit lag. Er hatte schon immer gewusst, dass die warmherzige, fröhliche, süße und einnehmende Hannah ungeahnte Tiefen besaß. Aber jetzt wollte er sie plötzlich ausloten, jede einzelne.
“Wie geht es deiner Mutter?”
“Ich fehle ihr”, sagte sie schuldbewusst. “Ich verbringe nicht genug Zeit mit ihr, und wenn sie anruft, wird es mir bewusst. Nicht dass sie mir Vorwürfe machen würde, aber ich höre ihrer Stimme an, wie einsam sie ist. Es macht mich völlig fertig.” Ein Seufzer entrang sich ihrer Kehle, und Dwight wünschte sich in diesem Augenblick nichts mehr, als Hannah helfen zu können.
“Ich habe das gleiche Gefühl, wenn ich meine Eltern anrufe”, erwiderte er offen. “Und ich rufe sie nicht oft an, weil es mich traurig macht, an ihrer Stimme zu spüren, wie alt sie geworden sind.”
Hannah nickte ernst und hörte ihm aufmerksam zu.
“Es bedrückt mich, dass ich sie nicht oft sehen kann und dass sie eines Tages einfach nicht mehr da sein werden. Auch Alexi sehe ich viel zu selten. Die letzten Jahre war ich ständig fort.” Er hatte gar nicht vorgehabt, so viel zu erzählen, er hatte ihr nur sein Verständnis zeigen wollen. Aber irgendetwas an ihr drängte ihn dazu, sich ihr anzuvertrauen. In diesem Moment fühlte er sich Hannah näher als allen anderen Menschen, die er kannte.
“Fehlen sie dir in Los Angeles?”, fragte sie.
“Wenn ich arbeite, habe ich keine Zeit, an sie zu denken. Nur jetzt, in meiner Freizeit sozusagen, ist es mir möglich, über meine Familie und mich nachzudenken.”
“Deine Arbeit ist dir sehr wichtig, nicht wahr?” Sie lächelte versonnen. “Und ich weiß überhaupt nichts darüber.”
“Ich habe als Undercoveragent gearbeitet.” Das war seine Standardantwort, aber für Hannah reichte sie ihm nicht aus. Ihr gegenüber hatte er den Wunsch, mehr zu sagen. “Wir hatten uns in einen Drogenring in Los Angeles eingeschleust.”
“Habt ihr ihn sprengen können?”
“Es hat zwar ein volles Jahr
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