Schlaf in himmlischer Ruh
Milieu bestens kennen und
wiedererkennen. Professor A. E. Housman hat einmal erklärt, Cambridge sei für
ihn in jedem Wortsinne »an asylum« gewesen — was auf Englisch neben
>Schutzraum<, >Asyl<, eben auch >Irrenanstalt< bedeutet. Das
Zusammenleben einer großen Studentenschar auf engem Raum, der Leistungsdruck
der ständigen Examina, das Konkurrenzdenken, die Sexualprobleme — das alles ist
schon Zündstoff genug, um zu plötzlichen, unkontrollierten Entladungen von
Gewalt zu führen. Der Lehrkörper bietet noch bessere Möglichkeiten — sind doch
nach einer bekannten Definition Professoren Studenten, denen das Studentsein so
gefiel und die darin so gut waren, daß sie es ein Leben lang blieben.
Dementsprechend wiederholt sich alles: das Zusammenleben auf engstem Raum — im
britischen College oder im amerikanischen Campus-Ghetto, der Leistungsdruck,
das Konkurrenzdenken, die sexuelle Frustration — etwa im Frauencollege im
Klassiker des Genres »Gaudy Night« von Dorothy L. Sayers oder in amerikanischen
Beispielen im streng verbotenen und scharf sanktionierten
Lehrer-Schüler->Verhältnisakademischen Milieu ansiedelt, also nie verlegen sein, zumal ja noch als
zusätzliche Möglichkeit in jedem harmlosen, schrulligen Gelehrten ein
Doppelgänger stecken kann: der >mad scientist<, dessen Forscherdrang ihn
auf verbotene Wege geführt hat, oder der Monomane seines Fachs, dem seine
Spezialdisziplin zum alleinigen Lebensziel geworden ist, für das er stiehlt,
raubt und schließlich mordet.
Charlotte Matilde MacLeod stellt sich
mit ihrer Serie über das renommierte landwirtschaftliche Balaclava-College in
Massachusetts bewußt in diese Tradition, wie sie Dorothy L. Sayers, Michael
Innes und Edmund Crispin, um nur einige Klassiker zu nennen, gepflegt haben.
Der die Serie eröffnende Roman, der hier als erstes Werk der Autorin in
deutscher Sprache vorgelegt wird, erschien in den USA 1978 und erweist sich als
spätklassische Spielform des Genres: Er begnügt sich nicht damit, die Campus- oder
Collegeverbrechen um eine neue Variante zu bereichern — er stellt sich schon
mit dem einem englischen Weihnachtslied entnommenen doppeldeutigen Titel »Rest
You Merry« — »God rest you merry, Gentlemen, may nothing you dismay!« — zusätzlich
in eine andere beliebte Variationskette, die des Weihnachtskriminalromans. Seit
dem durch den Fragmentcharakter bis heute ungelösten weihnachtlichen
Verschwinden des Edwin Drood bei Dickens hat fast jeder Kriminalromanautor eine
verbrecherische Weihnachtsgeschichte vorgelegt: Allzusehr bietet sich das Fest
der Liebe, des Friedens, der Familie zur Verfremdung an, wie sie dem
Detektivroman mit seiner Neigung zur »Zerstörung einer heilen Welt« (R. Alewyn)
gattungseigentümlich ist. Im Erstling der Balaclava-Serie erleben wir zugleich
die Genese einer sehr überzeugenden Detektivgestalt mit, wie sie dieser
akademischen Welt angemessen ist. Peter Shandy, Professor für Botanik und
Spezialist in der Nutzpflanzenzucht, wird in den Fall verwickelt, weil er die
Leiche einer Nachbarin in seinem Haus findet. Hierbei wird zugleich eine
Eigenschaft des Detektivs deutlich, die häufig übersehen wird: Über die längste
Strecke der Romane ist der Detektiv meist nicht derjenige, der Geheimnisse
löst, sondern der, der sie erst schafft.
Wo der Wachmann — ganz im Sinne des
Collegepräsidenten — einen Unfall annimmt, wird Shandy eine winzige
Unstimmigkeit, die sonst keinem aufgefallen wäre, zum >Clue<, zum Hinweis
auf Mord. Daß er ihm nachgeht, ist das lebenslang geübte wissenschaftliche
Ethos des Doktoreides — »sequi veritatem«, das Suchen nach Wahrheit um der
Wahrheit willen. Dieses innere Engagement und seine von der Wissenschaft
übernommene Vorgehensweise — wenn ihm eine Neuzüchtung eingeht, sucht Professor
Shandy ja auch nach der Ursache — verhelfen ihm schließlich zur Lösung, wie
auch in den späteren Bänden der Balaclava-Serie.
Charlotte MacLeod wurde 1922 in Kanada
geboren und wuchs in Massachusetts in den USA auf. Nach dem Studium am Art
Institute in Boston arbeitete sie zunächst als Bibliothekarin, dann als
Werbetexterin. Obwohl sie sich nach ihren eigenen Angaben schon mit 10 Jahren
entschloß, Kriminalschriftstellerin zu werden, begann sie erst 1964 mit einer
Krimi-Serie für Jugendliche. Seit dem Übergang zum Erwachsenenroman 1978
arbeitet sie höchst erfolgreich an drei Projekten gleichzeitig:
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