Schlaf in himmlischer Ruh
siebzehnten
Takt der 2537sten Wiedergabe von »Egal, wer du bist, schaff mir die Rentiere
vom Dach, Dicker!« sein.
Professor Shandy lächelte im Dunkeln.
»Ach was, Humbug«, murmelte er und begann, Sterne zu zählen.
Zweites Kapitel
D ie Ungeheuerlichkeit seines Tuns wurde
Peter Shandy erst schlagartig bewußt, als er am Weihnachtsmorgen halbwegs durch
das Frühstück war. Gerade, als er dabei war, eine Gabel voll ausgezeichneter
Sülze zum erwartungsvollen Munde zu führen, stockte ihm die rechte Hand.
»Was ist, Mr. Shandy?« fragte der
mitleidige Zahlmeister. »Sie werden uns doch nicht seekrank, oder?«
»Die Maschinen — sie haben gestoppt.«
Obwohl dies nicht der eigentliche Grund
für Shandys Bestürzung war, stimmte es zufällig. Ohne erkennbare Ursache hatte
der große Puls des Schiffes plötzlich zu schlagen aufgehört. Der Maschinist
warf seine Serviette auf den Tisch, ließ eine blasphemische Äußerung hören und
sprang die Kajütstreppe hinab. Der Kapitän stürzte zur Brücke, der Rangordnung
gemäß gefolgt von seinem Ersten, Zweiten und Dritten Offizier. Der Steward
räusperte sich respektvoll.
»Je nun, Zahlmeister, es sieht so aus,
als müßten Sie und Mr. Shandy die Sülze allein aufessen.«
»Bitte geben Sie meinen Anteil mit
festlichen Glückwünschen der Bordkatze«, erwiderte der Professor. »Ich glaube,
ich werde meine Schwimmweste anprobieren.«
Er war nicht besonders aufgeregt.
Verglichen mit dem, was ihn vielleicht daheim in Balaclava Junction erwartete,
ermangelte die Aussicht auf einen plötzlichen Tod durch Ertrinken nicht eines
gewissen Reizes. Außerdem schien keine unmittelbare Gefahr zu bestehen,
insbesondere, da sie die Küste nach Süden hinabgefahren waren. Man warf einen
Treibanker aus, um gemächlich zu dümpeln, bis die hochseetüchtigen Schlepper
kämen, um sie zum Hafen zu bugsieren. Ein Hubschrauber flog über sie hinweg, um
Aufnahmen für das Fernsehen zu machen. Shandy blieb außer Sicht und grübelte
über seine Verruchtheit nach.
Als durchaus ehrenwerter Mann konnte er
nur eine Handlungsweise erkennen, und dafür entschied er sich. Als sie im
Trockendock von Newport News anlegten, packte er seine Tasche, wünschte seinen
neuen Kameraden Lebewohl und nahm den nächsten Greyhound nach Balaclava
Junction.
Es war, wie der Busfahrer mit sehr
häufigen Wiederholungen bemerkte, eine gräßliche Art, Weihnachten zu
verbringen. Als er an einer Raststätte einen fettigen Cheeseburger aß, dachte
Shandy an Elizabeths Roastbeef und ihren Yorkshire-Pudding. Während sie im gefrorenen
Matsch über glatte Straßen holperten, träumte er von ihren Zitronen-Törtchen.
Aus verkrampftem Schlummer wachte er steif und fröstelnd auf, um zu bedauern,
daß er die Sülze der Bordkatze gespendet hatte, und fiel wieder in den Traum,
in dem ihn daheim im Backsteinhaus auf dem Crescent jemand erwartete, um ihm
ein heißes Mahl zu bereiten.
Natürlich würde niemand da sein. Mrs.
Lomax war über die Feiertage zu Besuch bei ihrer verheirateten Tochter und
hätte heute ohnehin nicht gearbeitet. Als er in der kühlen Dämmerung des 26.
Dezember ausstieg, war kein einziger verspäteter Zecher zu sehen — nicht einmal
das Teer-und-Feder-Komitee, das er halbwegs erwartet hatte. Der Professor
schlug seinen Mantelkragen so hoch, wie es ging, und begann den steilen Aufstieg
zum Crescent, wobei er sich fragte, an welcher Stelle er mit dem blinkenden und
dröhnenden Beweis seines schlecht bedachten Streiches konfrontiert würde.
Er wurde nicht. Das Backsteinhaus stand
still und dunkel da. Er hätte sich denken können, daß die wackeren Männer von
Balaclava mit solchen Kleinigkeiten wie verschlossenen Türen und
einbruchsicheren Schaltkästen fertig würden. Irgendein Ingenieurstudent mit
widerrechtlichem Eindringen als Nebenfach mußte die Schalter ausgeschaltet
haben.
Erleichtert, aber etwas pikiert, seine
ästhetische Bombe so völlig entschärft zu finden, steckte Shandy den Schlüssel
ins Schloß, stieß die Haustür auf, die seine Mitverschwörer wie ein riesiges
Weihnachtsgeschenk mit einer Krebsgeschwulst aus kitschigen Fliegenpilzen in
der Mitte eingewickelt hatten, und stapfte hinein. Er zog Mantel, Hut und Schal
aus und hing sie in den Schrank in der Diele. Dann streifte er seine Galoschen
und Schuhe ab, denn seine Füße waren vom kalten und zu langen Sitzen
geschwollen. Er wackelte mit den Zehen. Trotz allem war es gut, daheim zu
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