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Schlaf, Kindlein, schlaf

Titel: Schlaf, Kindlein, schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika von Holdt
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schwarzen Asphalt wie Quecksilber. Sie spürte einen unbehaglichen Zweifel in ihrem Innern nagen, ignorierte jedoch ihre innere Stimme, die wisperte, dass es dumm, sehr dumm sei, jetzt zu fahren. Máire sah aus dem Fenster, wo der Regen fast waagerecht gegen die Scheibe prasselte und wie splitternde Glasmurmeln klang. Ein Blitz zuckte Richtung Westen am Himmel. Sie beschleunigte und konzentrierte sich wieder auf die Straße.
    Val ging nach dem dritten Klingeln ans Telefon.
    »Hallo Val, hier ist Máire.«
    »Hi, Máire, wie geht’s? So ein Mistwetter, hier fliegen gleich die Fensterläden weg!«
    »Na, dann wappne dich«, sagte Máire. »Sag mal, kannst du noch eine Weile auf die Katze aufpassen? Ich fahre für ein paar Tage weg, vielleicht auch län…«
    »Ich dachte, du bist gerade erst wiedergekommen!«, wundert sich Val. »Vorhin erst habe ich dein Auto in der Auffahrt stehen sehen. Da habe ich meine triefnasse Wäsche reingeholt … und eigentlich wollte ich rüberkommen und dir was zu essen vorbeibringen. T-Bone-Steaks und Salat! Du hast noch nicht gegessen, oder?«
    »Ich bin schon wieder unterwegs.«
    »Ach so, na dann. Wohin denn? Ich dachte …« Sie unterbrach sich: »Was ist denn los?«
    »Ich fahre noch mal nach Savannah. Ich muss da noch ein paar Dinge erledigen.«
    Es blieb still am anderen Ende der Leitung, dann fragte Val: »Savannah? Aber du bist doch gerade …« Sie verstummte und fragte stattdessen: »Ist alles in Ordnung? Geht es dir gut? Wie war’s denn?«
    »Alles bestens. Ich habe den Ring ins Wasser geworfen, wenn du das meinst.«
    Máire hörte, wie Val sich eine Zigarette anzündete und einen langen Zug nahm.
    »Hm, wieso musst du dann noch mal zurück?« Ihre Stimme wurde lauter. »Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist, Máire. Savannah ist nichts für dich, da gibt es doch nur lauter Erinnerungen – Erinnerungen, die dir sowieso nicht helfen, jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt nicht.« Sie machte eine Pause, dann fuhr sie fort: »Warum fährst du denn so spät noch?«
    »Weil ich verrückt bin, okay? Weil ich glaube, dass ich jemandem helfen kann, der in Gefahr ist«, erklärte sie und beeilte sich hinzuzufügen: »Das hat nichts mit Jesse zu tun.«
    »Mit wem denn dann?« Val klang misstrauisch.
    »Mit jemandem, der mich braucht.«
    »Jemand, der dich braucht? Wer? Hast du jemanden kennengelernt? Wer ist es denn?«
    Máire lachte. »Ich habe niemanden kennengelernt. Niemanden.«
    Val zog wieder an ihrer Zigarette. »Hast du dich da in irgendwas reingeritten? Hast du vor, mir zu erzählen, worum es überhaupt geht?«
    »Vielleicht. Aber nicht jetzt.«
    Val seufzte. »Du bist ein Pirat, Máire. Zweihundert Jahre zu spät! Pass auf dich auf!«
    »Yes, I am a pirate two hundred years too late«, sang Máire leise und verbittert, klappte ihr Handy zu und ließ es in ihre Handtasche gleiten. »Arriving too late, arriving too late …« Wenigstens Jimmy Buffett hatte nicht vergebens gelebt, dachte sie.

10
     
    Máire erreichte Savannah kurz nach Mitternacht. Sie mietete sich in einer kleinen Pension im historischen Ortskern ein, die in einem ehemaligen Wohnhaus mit großer Veranda, schmiedeeiserner Balustrade und schwarzen Läden vor den spitzen gotischen Fenstern untergebracht war. Sie füllte das Formular aus und bekam den Schlüssel ausgehändigt. Zimmer Nummer 401 lag im ersten Stock mit Blick auf die Türme der Kathedrale und die Eichenbäume auf dem Place Lafayette und war ein hübsches Doppelzimmer mit hoher Decke, einem Kamin aus weißem Marmor und einem riesigen Himmelbett. Máire ließ ihre Reisetasche aufs Bett fallen und sah sich um. Ein paar Korbstühle und ein runder Eisentisch standen zwischen den beiden Fenstern, die auf die Abercorn Street zeigten, und an der Wand gegenüber stand ein weiß gestrichenes Eichenholzregal mit Fernseher, Radio, Computer, einer Minibar und einer kleinen Bibliothek.
    Im Zimmer war es kühl, es war nur spärlich beleuchtet, und schwere weinrote Vorhänge mit Verdunkelungsgardinen hinderten die Welt daran, bis hierher vorzudringen. Máire zog eine Seite auf und sah den Regenwolken nach, die langsam und bedrohlich verschwanden und einen mit silbrig glänzenden Sternen übersäten Himmel hinterließen. Die Straße war leer und verlassen.
    Máire legte sich aufs Bett. Auf einem der beiden Nachttische stand ein Telefon. Sie rief Val an, die nicht abnahm, ließ sich ein warmes Bad ein und dankte den Göttern dafür, dass sie ganz unten in ihrer

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