Schlaf, Kindlein, schlaf
zwischen den Opfern. Keine Beweise. So lautete eine der Regeln.
Aber sein Komplize fing an, ihm Probleme zu machen. Er fand nämlich, dass das Spiel langweilig zu werden begann. Er meinte, es wäre witzig und originell, den Bullen gelegentlich einen kleinen Hinweis zu geben, Anerkennung für seine Arbeit zu erhalten und zu sehen, ob man damit noch davonkam. Das hatte er schon ein paar Mal so gemacht. Das verdoppelte die Spannung, wie er sagte. Die Gewinner machten die Regeln, und die Verlierer richteten sich danach; so sah der andere das. Aber es war gefährlich und dumm, so zu handeln. Vor allem die Geschehnisse der jüngsten Vergangenheit hatten ihm einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht.
Der Mann, der sich im Internet Die Schlange nannte, hatte nicht vor, sich auf frischer Tat ertappen zu lassen. Er würde sämtliche Beweise vernichten. Er hatte die Situation vollkommen unter Kontrolle.
Und dieses Spiel konnte er auch ohne Partner spielen.
Er war des anderen überdrüssig geworden. Der Mann gehörte in eine Anstalt. In Kindertagen hatte der andere viel Macht über ihn gehabt und nicht gezögert, von dieser Macht Gebrauch zu machen. Er selbst war zu feige gewesen, das allein durchzuziehen, aber das hatte sich geändert. Der andere nervte ihn andauernd. Er hatte schon mit dem Gedanken gespielt, ihn für das, was er gesagt und getan hatte, zu erschlagen. Er verdiente zweifelsohne den Tod. Und mit etwas Hilfe konnte er sehr leicht in den Brennofen des Krematoriums fallen, auch wenn er eigentlich einen interessanteren Tod verdiente. Bei dem Gedanken daran machte sein Herz einen Satz, aber alles zu seiner Zeit. Jetzt musste er sich erst einmal auf das Hier und Jetzt konzentrieren.
12
Am nächsten Tag wachte Máire schweißüberströmt auf. Das Laken hatte sich wie eine Zwangsjacke um sie gewickelt. Sie hatte die Klimaanlage abends noch ausgemacht (weil sie davon immer Schnupfen und Halsweh bekam), und die Luft im Zimmer war feucht, warm und zum Schneiden stickig. Schweiß, der nicht verdunsten konnte, lief in feinen Rinnsalen über ihre Kopfhaut in ihr Haar und fühlte sich wie krabbelnde Insekten an. Sie rieb sich die Augen und ließ den Blick durch den Raum schweifen. Draußen brannte die Sonne auf die Veranda und das schmiedeeiserne Geländer. Sie sah auf ihre Uhr. Es war halb acht.
Sie setzte sich auf und dachte an C.J. Was hatten sie ihr angetan?
Und warum?
Sie war gefangen gehalten worden, der Rest war nichts als purer Sadismus oder irgendeine Form von pathologischem Hass – darüber konnte man nur spekulieren. Máire versuchte, nicht mehr daran zu denken. Es nützte ohnehin nichts, die Motive und Handlungen von Psychopathen nachvollziehen zu wollen. Ihr war es auch gleichgültig. Sie musste C.J. einfach finden. Oder es würde sie das Leben kosten. Die wichtigste Frage lautete, wo C.J. sich aufhielt. Máire rang mit der unheimlichen Angst in ihrem Unterbewusstsein, dass es vielleicht schon zu spät und die Hoffnung, C.J. in einem Ort von der Größe Savannahs überhaupt zu finden, völlig unrealistisch war. Daran wollte sie auf keinen Fall denken!
Wenn Máire jetzt den Mut verlor, hatte C.J. nicht die geringste Chance. Aber was zum Teufel sollte sie tun? Sollte sie durch die Gegend laufen und Zettel an die Bäume heften? Oder von Haus zu Haus, von Tür zu Tür gehen, um nach ihr zu fragen? Das würde den restlichen Sommer lang dauern. Und wo sollte sie anfangen? Vielleicht würde sie das plötzlich von irgendeinem sechsten Sinn erfahren? Vielleicht sollte sie die Zeit darauf verwenden, Beweise zu finden. Im Wald nach Patronenhülsen suchen. Ihr fiel ein, dass sie sogar schon eine Idee gehabt hatte.
Sie nickte und stand auf.
Sie fühlte sich matt, und ihre Beine taten weh von den Strapazen der letzten Nacht. Sie reckte und streckte sich. Es ging schon, mit ein paar Tabletten und einem warmen Bad würde sie das schon wieder hinbekommen. Sie duschte rasch, wickelte sich in ein Handtuch und trat auf die Veranda.
Ein paar massive weiße Adirondack-Holzstühle standen um einen Tisch, zahllose Topfblumen schmückten die Veranda. Die Hitze des Tages stellte sich allmählich ein. Die Sonne spiegelte sich unberechenbar in den Fensterscheiben des Nachbarhauses gegenüber, und ein warmer Wind wehte ihr ins Gesicht. Die Straße war wie blank gefegt nach dem gestrigen Regen, und der Berufsverkehr ließ noch auf sich warten. Nur das Vogelgezwitscher und ein Deckenventilator, der auf vollen Touren lief,
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