Schlaf, Kindlein, schlaf
Tasche eine Schachtel Valium fand.
In Máires Küche machte Valerie du Bois eine Dose Katzenfutter auf, löffelte den Inhalt auf einen Teller und stellte ihn auf den Fußboden. Dann füllte sie die Schale mit frischem Wasser. Die Katze hatte eine Klappe in der Küchentür, um ein- und auszugehen. Valerie ging um die kleine Essecke herum und schubste die Klappe mit der Zehenspitze an, um sicherzugehen, dass sie nicht klemmte. Sie zog die Gardine zur Seite und warf durch die kleine rautenförmige Scheibe in der Tür einen Blick in den Garten. Am Himmel zuckten Blitze. Der Regen strömte herab, und sie wunderte sich darüber, dass die Katze sich offenbar nicht ins Hausinnere retten wollte. Sie war nicht einmal zum Fressen gekommen.
»Kitty, Kitty«, lockte sie. Ihre Stimme verhallte in der Stille. »Kitty, Kitty …«
Na dann, sagte sie zu sich selbst. Früher oder später würde sie schon kommen.
Sie trat in die Diele. Es war dunkel, warm und ruhig, abgesehen von den Regentropfen, die an die Scheiben und Türen trommelten. Eine düstere Stimmung lag über einem verlassenen Haus, und dieses Haus hatte ihr stets einen Schauer den Rücken hinuntergejagt. Doch jetzt wurde sie von einem derartig unheimlichen Gefühl übermannt, dass sie plötzlich eine Gänsehaut bekam. Irgendwo im Haus knarzte es, und Valerie zuckte zusammen. Sie blickte sich vorsichtig um und spürte, wie ihr der kalte Schweiß auf die Stirn trat. Einen Moment verharrte sie völlig reglos und horchte gespannt, um zu orten, woher das Geräusch kam.
Nichts. Nur das leise Brummen des Kühlschranks war zu hören.
Sie rechnete damit, dass sie allein war, denn Máire hätte Bescheid gesagt, wenn sie zurückgekommen wäre. Trotzdem fragte sie: »Hallo? Ist da jemand? … Máire, bist du das?«
Es blieb still.
Sie rührte sich noch immer nicht, dann schüttelte sie den Kopf. Was ist bloß los mit dir? Valerie gehörte nicht zu den Frauen, die schnell nervös wurden, und sie konnte gut auf sich selbst aufpassen.
Dann knarrte es wieder. Das Geräusch war ganz nah. Valerie fuhr herum. Direkt hinter ihr glitt die Tür vom Garderobenschrank einen Spaltbreit auf. Sie hielt den Atem an und starrte auf die Tür. Wie von Geisterhand ging sie weiter auf, dann noch ein bisschen weiter.
Valerie schrie zwar nicht auf, aber es fehlte nicht viel. Natürlich wusste sie, dass das kein Geist war. Sie versuchte den Gedanken zu verscheuchen, dass irgendjemand da drinnen stand. Andererseits gingen Türen normalerweise nicht von selbst auf.
Hör auf, dir Angst einzujagen!
Vielleicht war das nur Zugluft?
Oder Einbildung?
Sie blieb wie angewurzelt stehen und wartete ab, ob etwas passierte, während sie spürte, dass ihr alle Haare zu Berge standen.
Begleitet von einem unheimlichen Knarren öffnete sich die Tür noch etwas weiter. Jetzt machte Valerie du Bois ihren Mund auf, um einen Schrei zu formen, aber der einzige Laut, der sich ihrer Kehle entrang, war ein Keuchen.
Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Der Türspalt wurde breiter und breiter. Das schwache Licht, das durch die Scheibe der Haustür fiel, reichte gerade aus, um die Umrisse einiger Mäntel in der Garderobe auszumachen, und für einen Moment war sie versucht, sie mit einer Gestalt zu verwechseln und zu denken, dort stünde jemand. Aber bevor sie weiterrätseln konnte, fiel ihr Blick auf einen kleinen schwarzen Kopf unten in der Türöffnung. Zwei leuchtende gelbe Augen starrten sie verschreckt an. Die Katze! Es war nur die Katze!
»Ach, Kitty! Du bist es!«, rief sie erleichtert und bückte sich langsam, um die Katze auf den Arm zu nehmen. Sie fauchte, zeigte zwei Reihen spitze Zähne und sprang an ihr vorbei wie ein Troll aus einer Schachtel.
»Was ist denn los mit dir?«, fragte Valerie verwundert.
Die Katze schnaubte, als Valerie sie wieder hochnehmen wollte. Dann machte sie lautlos wie der Wind auf den Pfoten kehrt und verschwand Richtung Küche.
Valerie schnalzte mit der Zunge. »Biest!« Sie wollte die Garderobentür zumachen, blieb mit der Hand auf dem Türknauf stehen und lauschte nach verdächtigen Geräuschen. Abgesehen vom Brummen des Kühlschranks und vom Regen, der auf das Dach donnerte, war es still. Sie schloss die Tür.
Und während ihr Herz seinen gewohnten Rhythmus wiederfand, sammelte sie die Post vom Boden auf und legte sie in die Silberschale auf der Kommode. Valerie warf einen Blick in den Spiegel. Ihr Spiegelbild war in dem leicht angelaufenen, dunklen Glas ein wenig verzerrt. Sie
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