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Schlaf Nicht, Wenn Es Dunkel Wird

Titel: Schlaf Nicht, Wenn Es Dunkel Wird Kostenlos Bücher Online Lesen
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einen Stuhl heranzog und mich ans Bett seiner Mutter setzte. »Ich habe gehört, Sie haben nach mir gefragt.«
    »Ich habe gedacht, dass wir nach der nächsten Wäsche etwas Neues mit meinem Haar ausprobieren könnten.«
    Ich strich ihr die Strähnen ihres feinen grauen Haars aus dem Gesicht. »Und wie hätten Sie es gern?«
    »Ich weiß nicht. Irgendwas mit mehr Pfiff.«
    »Mit mehr Pfiff?«
    »Vielleicht ein Pagenschnitt.«
    »Ein Pagenschnitt?« Ich fuhr mit der Hand durch die dünnen Strähnen, die ihr eingesunkenes Gesicht rahmten. Die tiefen Linien um ihre Augen und ihren Mund verwandelten sich in schlaffe Falten. Lebendes Gewebe erstarrte langsam zu einer Totenmaske. Wie viel Zeit blieb ihr noch? »Ein Pagenschnitt«, wiederholte ich. »Natürlich. Warum nicht?«
    Myra lächelte. »Gestern Nacht hatte die niedliche kleine
Schwester mit den Sommersprossen Dienst. Die Junge, wie heißt sie noch gleich?«
    »Sally?«
    »Ja, Sally. Wir sind ins Plaudern gekommen, als sie mir meine Medikamente gebracht hat, und sie hat mich gefragt, wie alt ich bin. Sie hätten mal Ihren Gesichtsausdruck sehen sollen, als ich ihr erzählt habe, dass ich siebenundsiebzig bin.«
    Vergeblich suchte ich ein neckisches Zwinkern in Myras Blick. »Myra«, sagte ich sanft. »Sie sind nicht siebenundsiebzig.«
    »Nicht?«
    »Sie sind siebenundachtzig.«
    »Siebenundachtzig?« Es entstand eine längere Pause, in der sich Myra mit zitternder Hand ans Herz fasste. »Das ist ja schockierend!«
    Ich lachte und streichelte ihre Schulter.
    »Sind Sie ganz sicher?«
    »Das steht jedenfalls auf Ihrem Krankenblatt. Aber wir können ja sicherheitshalber noch einmal Ihren Sohn fragen, wenn er Sie das nächste Mal besucht.«
    »Ich glaube, das ist eine gute Idee.« Myras Lider flatterten, und ihre Stimme wurde immer leiser. »Ich glaube nämlich, dass da ein Irrtum vorliegen muss.«
    »Am Freitag fragen wir Josh.« Ich erhob mich leise von meinem Stuhl und ging zur Tür. Als ich mich noch einmal zu Myra umdrehte, schlief sie schon fest.
    Der restliche Vormittag verstrich ereignislos. Ich versorgte meine Patienten, verabreichte ihnen das Frühstück und Mittagessen und half denjenigen, die sich noch aus eigener Kraft ins Bad bewegen konnten. Dann schaute ich kurz bei Sheena O’Connor, dem 19-jährigen Vergewaltigungsopfer, herein und plauderte irgendetwas vor mich hin, während ich die Narben betrachtete, die ihr vormals unschuldiges Gesicht
grotesk entstellten. Aber wenn sie mich überhaupt hörte, ließ sie das durch nichts erkennen.
    Normalerweise esse ich in der Krankenhaus-Cafeteria zu Mittag – das Essen ist erstaunlich gut, und die Preise sind unschlagbar -, aber heute wollte ich unbedingt nach Alison sehen. Ich überlegte, sie anzurufen, wollte sie jedoch nicht stören für den Fall, dass sie noch schlief, und bezweifelte überdies, dass sie in meinem Haus ans Telefon gehen würde. Ausgerüstet mit zwei Imitrex-Tabletten, die ich Caroline abgekauft hatte – »Ich würde sie dir auch schenken, aber sie sind so verdammt teuer!« -, und den Namen diverser Ärzte in der Gegend, die Alison meiner Meinung nach konsultieren sollte, fuhr ich in der Mittagspause nach Hause, um nachzusehen, wie es ihr ging.
    Als ich in meine Einfahrt einbog, sah ich einen jungen Mann mit einer tief ins Gesicht gezogenen Baseballkappe, der hinter einem Baum an der Ecke herumlungerte, an fast genau derselben Stelle, an der ich gestern den Unbekannten gesehen hatte, doch bis ich den Wagen geparkt hatte und noch einmal auf die Straße getreten war, war er verschwunden. Ich blickte die Straße hinunter, sah ihn gerade noch um eine Ecke verschwinden und überlegte sogar kurz, ihm nachzusetzen. Zum Glück wurde ich von Hundegebell abgelenkt. Als ich mich wieder zum Haus wandte, stand Bettye McCoy neben dem sorgfältig gepflegten Rosenstrauch auf dem Nachbargrundstück und tat so, als würde sie nicht bemerken, dass einer ihrer Hunde auf die edle Zucht pinkelte. Ich dachte daran, sie zu fragen, ob sie irgendwelche verdächtigen Fremden in der Gegend bemerkt hätte, entschied mich jedoch dagegen. Seit ich einen ihrer kostbaren Bichons mit einem Besenstiel aus meinem Garten gescheucht hatte, hatte mich Bettye McCoy kaum eines Blickes gewürdigt.
    Ich zog die Schuhe aus, verfluchte die Haustür, die beim Schließen leise quietschte, und nahm mir vor, sie direkt nach
der Arbeit zu ölen. Bis auf das leise Summen der Lüftung war es geradezu unheimlich still. Mit einem raschen Blick

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