Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schlaf Nicht, Wenn Es Dunkel Wird

Titel: Schlaf Nicht, Wenn Es Dunkel Wird Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
würdest ja einen tollen Verbrecher abgeben, dachte ich, als ich die Schuhe abstreifte und sie auf ihren Platz neben den ramponierten Turnschuhen zurückstellte.
    Danach hätte ich schleunigst verschwinden sollen. Alison fühlte sich offensichtlich besser, es bestand kein Anlass zur Sorge. Und es gab bestimmt keinen Grund dafür, mich in dem Haus aufzuhalten, das jetzt schließlich ihres war. Ich war auch schon auf dem Weg hinaus – ganz ehrlich -, als ich es sah.
    Ihr Tagebuch.
    Es lag aufgeschlagen auf der weißen Korbkommode, als wartete es darauf, gelesen zu werden, ja beinahe so, als hätte Alison es absichtlich dorthin gelegt, weil sie erwartet hatte, dass ich vorbeischauen würde. Ich versuchte, darüber hinwegzusehen, versuchte vorbeizugehen, ohne auf einen Blick stehen zu bleiben, mich für einen gezielten Blick vorzubeugen, um genau zu sein, aber das verdammte Ding zog mich an wie ein Magnet. Beinahe unwillkürlich folgten meine Augen den dramatischen Kringeln und Schleifen von Alisons kunstvollem Gekritzel wie auf einer wilden, visuellen Achterbahnfahrt.

    Sonntag, 4. November: Nun, ich hab es getan. Ich bin tatsächlich hier .
    Ich hielt inne und schlug das Tagebuch zu, bis mir einfiel, dass ich es aufgeschlagen vorgefunden hatte, sodass ich rasch bis zu dem letzten Eintrag vorblätterte.
    Donnerstag, 11. Oktober: Lance sagt, ich bin verrückt. Er sagt, ich soll nicht vergessen, was beim letzten Mal passiert ist .
    Freitag, 26. Oktober: Ich werde langsam nervös. Vielleicht ist das Ganze doch keine so gute Idee .
    Sonntag, 28. Oktober: Lance warnt mich davor, mich emotional zu stark einzulassen. Vielleicht hat er Recht. Vielleicht ist mein ganzer Plan verrückt .
    Mein Blick huschte zum letzten Eintrag, ohne meinen Augen eine Pause zu gönnen, in der ich die Worte hätte aufnehmen können.
    Sonntag, 4. November: Nun, ich hab es getan. Ich bin tatsächlich hier. Ich lebe in dem kleinen Häuschen hinter ihrem Haus, und sie hat mich zum Essen eingeladen. Sie macht einen netten Eindruck, auch wenn ich sie mir irgendwie anders vorgestellt habe .
    Was sollte das heißen?
    Was hatte sie sich vorgestellt?
    Wir hatten nicht einmal eine Minute lang miteinander telefoniert, kaum Zeit genug, sich irgendeinen Eindruck zu bilden.
    Lance sagt, ich bin verrückt. Er sagt, ich soll nicht vergessen, was beim letzten Mal passiert ist .
    Hatten diese beiden Einträge irgendeinen Bezug zueinander?
    »Ich tue es schon wieder«, sagte ich laut. Meine Fantasie mit mir durchgehen lassen. Die Sätze in Alisons Tagebuch konnten alles Mögliche bedeuten. Oder gar nichts. Mein Unbehagen rührte mehr von meinen Schuldgefühlen her, in
Alisons persönlichen Sachen herumgeschnüffelt zu haben, als von ihren unschuldigen Notizen. Ich wich von der Kladde zurück wie vor einer züngelnden Schlange.
    Ansonsten tat ich gar nichts. Nicht in dem Moment, nicht später, nicht einmal als ich nach der Arbeit nach Hause kam und bei Alison vorbeischaute und sie mir erklärte, dass sie bis auf einen kurzen Spaziergang um den Block den ganzen Tag mehr oder weniger im Bett verbracht hätte.
    Ich brachte ihr die Tabletten, die Liste mit ansässigen Ärzten und eine Portion selbst gemachte Hühnersuppe und entschied, freundlich zu bleiben, aber Abstand zu wahren – mich emotional nicht zu stark einzulassen , wie der mysteriöse Lance mir garantiert geraten hätte -, und irgendwie schaffte ich es, mir einzureden, dass, solange Alison ihre Miete pünktlich bezahlte und sich an meine Regeln hielt, alles in bester Ordnung war.

5
     
     
    Bis zum Freitag hatte ich das Tagebuch praktisch vergessen. Eine der anderen Schwestern war von einer üblen Grippe niedergestreckt worden, und ich hatte mich freiwillig gemeldet, zusätzlich zu meinen Schichten am Mittwoch und Donnerstag auch ihren Dienst am Freitag zu übernehmen, sodass ich Alison überhaupt nicht sah. Ich bekam allerdings einen reizenden Brief von ihr, in dem sie sich für das Abendessen bedankte und sich ausführlich dafür entschuldigte, mir solche Umstände bereitet zu haben. Sie versicherte, es gehe ihr viel besser, und schlug vor, am Wochenende ins Kino zu gehen, falls mein Zeitplan das erlaube. Ich reagierte nicht und beschloss, völlige Erschöpfung vorzuschieben, wenn wir uns tatsächlich begegnen oder sprechen sollten. Wenn ich derlei Avancen oft genug ablehnte, würde unsere Beziehung wieder das werden, was sie von Anfang an hätte sein sollen – ein Mietverhältnis. Ich hatte Alison

Weitere Kostenlose Bücher