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Schlaf Nicht, Wenn Es Dunkel Wird

Titel: Schlaf Nicht, Wenn Es Dunkel Wird Kostenlos Bücher Online Lesen
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Haare«, verkündete Alison und zückte wie aus dem Nichts einen Kamm, mit dem sie meine nassen Haare über die Ohren und in die Stirn kämmte. Ich musste mich setzen, während Alison vor mir kniete und meinen Kopf, eine Hand an meinem Kinn, in diese und jene Richtung wendete und mein Gesicht betrachtete. Sie lächelte, als könnte sie meine geheimsten Gedanken lesen. Sah sie das Bild von Josh Wylie in meinen Augen?
    Ich hörte die Schere klappern und spürte ihre Schneide an meinem Kopf. »Das fege ich hinterher auf«, erklärte sie, als ich das erste Zupfen spürte und entsetzt zusah, wie erst ein und dann noch ein Büschel nasser Haare auf die weißen Fliesen meines Küchenfußbodens fielen.
    »O Gott«, stöhnte ich.
    »Mach die Augen zu«, wies Alison mich an, »und vertraue mir.«
    Mit geschlossenen Augen klang das Geräusch der schnippenden Schere noch eindringlicher, als ob sie durch all meine
Schutzschichten schneiden, an meinen Geheimnissen schnippeln und mir sämtliche Kraft rauben würde. Samson und Delilah, dachte ich dramatisch, bevor ich mehrmals tief durchatmete und beschloss, mich in mein Schicksal zu fügen und es einfach geschehen zu lassen.
    »Föhnen tun wir nach der Gesichtspflege, das heißt wir können jetzt ins Wohnzimmer gehen«, wies Alison mich an, und ich stieg über die wie ein kleiner Läufer über die weißen Fliesen verteilten Haare. »Nicht gucken«, sagte sie, als mich ein leichter Schauder erfasste. »Glaub mir. Hab Vertrauen.«
    In Vorbereitung meines »Wellness-Abends«, wie Alison ihn lachend genannt hatte, hatte ich zwei Laken über das Sofa gebreitet, vor dem ich jetzt wie gelähmt stand und Alisons weitere Anweisungen erwartete.
    »Okay. Leg dich hin, den Kopf an dieses Ende und die Füße … hier. So ist’s gut. Ich möchte, dass du es richtig bequem hast. Es wird dir gefallen«, sagte Alison, als hätte sie selbst ihre Zweifel daran. »Und jetzt mach es dir gemütlich, während ich alles hole, was ich brauche.«
    »Die Gurkenscheiben sind im Kühlschrank«, erinnerte ich sie, schloss die Augen und tastete hektisch nach den Haaren im Nacken.
    »Du hättest sie nicht aufschneiden müssen«, rief Alison aus der Küche. »Das hätte ich auch selbst machen können.«
    Ich hörte, wie sie im Kühlschrank herumkramte, Wasser laufen ließ und Schränke auf und zu machte. Wonach suchte sie bloß?
    In weniger als einer Minute war sie wieder da. »Wir fangen mit der Peeling-Masque an.«
    »Die mit que oder mit k ?«
    Sie lachte. »Die teure.«
    »Oh, gut.«
    »Okay, mach die Augen zu, entspann dich und denk an etwas Schönes.«

    Ich spürte, wie eine kalte, schleimige Masse auf mein Gesicht geschmiert wurde wie Rübenkraut auf eine Scheibe Brot.
    »Wenn es aushärtet, fühlt es sich vielleicht ein bisschen komisch an.«
    »Es fühlt sich jetzt schon komisch an.«
    »Und du kannst nicht mehr sprechen«, warnte sie mich und schmierte die Masse um meine Lippen. »Am besten hältst du einfach still.«
    Hatte ich eine Wahl? Ich fühlte mich schon jetzt, als wäre mein ganzes Gesicht in Zement gefasst. Ich weiß noch, dass ich gedacht habe, eine Totenmaske. Eine Totenmasque, verbesserte ich mich im Geist und hätte möglicherweise laut gelacht, wenn die Muskeln um meinen Mund sich nicht so steif angefühlt hätten. »Wie lange?«, fragte ich, praktisch ohne die Lippen zu bewegen.
    »Zwanzig Minuten.«
    »Zwanzig Minuten?« Ich öffnete die Augen und wollte mich aufrichten, doch kräftige Hände drückten mich wieder auf das Sofa.
    »Entspann dich. Der Abend hat gerade erst angefangen, genau wie wir. Mach die Augen zu. Ich lege jetzt die Gurkenscheiben darauf.«
    »Wozu sind die Gurkenscheiben gut?«, fragte ich, obwohl ich kaum noch einen Konsonanten aussprechen konnte, sodass meine Frage als eine Folge undefinierbarer Laute herauskam.
    »Sie wirken abschwellend. Was für eine Krankenschwester bist du nur, dass du das nicht weißt?«, neckte sie mich und fügte sofort hinzu: »Stillhalten. Das war eine rhetorische Frage.« Sie legte die Gurkenscheiben in die ausgesparten Kreise um meine Augen, und alles wurde noch dunkler, als hätte ich eine Sonnenbrille aufgesetzt. »Gefällt dir der Ausdruck rhetorisch ?«

    »Gutes Wort«, brachte ich hervor, ohne die Lippen zu bewegen.
    »Ich versuche, jeden Tag drei neue Wörter zu lernen.«
    »Oh?« Wenigstens das bereitete keine Mühe.
    »Ja, es macht irgendwie Spaß. Ich schlage einfach das Wörterbuch auf und zeige mit dem Finger auf ein Wort.

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