Schlaf Nicht, Wenn Es Dunkel Wird
mit den frisch geschorenen Haaren, die in allen Richtungen von einem mumifizierten Kopf abstanden. »O Gott, ich sehe ja aus wie der schwarze Mann.«
Alison verzog das Gesicht. »Darüber solltest du nicht mal Witze machen.« Sie stellte das Buch ins Regal und hakte sich bei mir unter. »Jetzt müssen wir deine Gesichtsmaske abnehmen. Wir haben noch jede Menge zu tun.«
»Ich glaube, für einen Tag bin ich genug verwöhnt worden.«
»Unsinn. Ich fange gerade erst richtig an.«
9
Ich nahm mir Thangsgiving frei.
Das war insofern ungewöhnlich, als ich seit dem Tod meiner Mutter vor fünf Jahren jedes Thangsgiving gearbeitet hatte. Genau genommen hatte ich an allen Feiertagen einschließlich Weihnachten und Silvester gearbeitet. Warum auch nicht, sagte ich mir. Im Gegensatz zu Margot und Caroline wartete auf mich daheim keine Familie, niemand, der meine Abwesenheit beklagte oder sich beschwerte, mich zu selten zu sehen. Und die Patienten der Mission-Care-Klinik mussten weitergepflegt werden, Feiertag oder nicht. Es war wirklich traurig, wie selten sie Besuch bekamen und wie oberflächlich diese Besuche waren. Wenn ich diesen Menschen, von denen ich viele mögen und bewundern gelernt hatte, das Gefühl vermitteln konnte, an einem Feiertag weniger einsam zu sein, wollte ich das gerne tun. Außerdem war es ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Ich tat es ebenso sehr für sie wie für mich, denn auch ich wollte meine Feiertage nicht einsam verbringen.
Doch dieses Thanksgiving war anders. Ich würde nicht allein sein. Ich hatte zu einem Abendessen eingeladen, das ein wenig größer ausgefallen war als zunächst geplant. Neben Josh und Alison stand mittlerweile auch Alisons Kollegin Denise Nickson auf der Gästeliste. Alison hatte gefragt, ob wir sie ebenfalls einladen könnten, und obwohl ich zunächst zögerte – nach dem Zwischenfall mit den Ohrringen traute ich Denise nicht so recht über den Weg -, versicherte Alison mir, dass sie eine intelligente, witzige und im Grunde ihres
Herzens gute Frau war, sodass ich wider besseres Wissen einwilligte. Außerdem dachte ich mir, dass ich mehr Zeit haben würde, mich auf Josh zu konzentrieren, wenn Denise anwesend war, um sich mit Alison zu unterhalten.
»Irgendwas riecht hier ganz fantastisch.« Alison kam aus dem kleinen Esszimmer, wo sie den Tisch gedeckt hatte, in die Küche gefegt. Sie trug ihr blaues Sommerkleid, und ihre Haare fielen, nur von einer zierlich blauen Schmetterlingsklammer hinter einem Ohr gesichert, in einer wallenden Mähne auf ihre Schultern. Dazu trug sie ihre hochhackigen Sling-Pumps, deren Anblick mir nach wie vor einen kleinen Schrecken versetzte. »Dieser Truthahn wird bestimmt köstlich.«
»Hoffentlich hast du Recht.«
»Wie kann ich dir sonst noch helfen?«
»Ist der Tisch gedeckt?«
»Warte, bis du ihn siehst. Sieht aus wie aus einem Feinschmecker-Magazin. Ich habe die Rosen, die Josh geschickt hat, zwischen die Kerzen in die Mitte des Tisches gestellt.«
Ich wurde rot und wandte mich wieder dem Herd zu, wo ich vorgab, mich um den Topf mit kleinen Süßkartoffeln zu kümmern, die munter vor sich hin kochten. Es ist kaum zu glauben, aber mir hatte noch nie jemand Blumen geschickt. »Ich glaube, wir sind so weit startklar«, stellte ich fest, während ich im Kopf noch einmal meine Liste durchging – Truthahn, Füllung, Marshmallows. Süßkartoffeln, selbst gemachte Preiselbeersoße, ein Birnen-Walnuss-Salat mit Gorgonzola-Dressing.
»Wir haben genug zu essen, um eine ganze Armee zu verpflegen«, bemerkte Alison und warf die Hände in die Luft, als würde sie mit Konfetti schmeißen, eine Geste purer Lebensfreude, die mich unwillkürlich laut lachen ließ. »Du bist so hübsch, wenn du lachst«, sagte Alison.
Ich lächelte dankbar und dachte, dass es nur ihr zu verdanken
war, wenn ich heute Abend besonders hübsch aussah. Sie hatte mir nicht nur die beste und vorteilhafteste Frisur geschnitten, die ich je gehabt hatte – meine Haare fielen in sanften goldbraunen, kinnlangen Wellen in mein Gesicht -, auch meine Haut strahlte nach ihrer Intensivpflege und unter dem Make-up, das Alison bereits vor Stunden sorgfältig aufgetragen hatte und das gleichzeitig dramatisch und natürlich wirkte. Finger- und Fußnägel waren im gleichen Farbton lackiert, wobei Very Cherry perfekt zu meiner dunkelblauen Hose und der neuen weißen Seidenbluse passte, die ich mir gekauft hatte. Dazu baumelten meine kleinen silbernen Amoretten von meinen Ohren.
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