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Schlaf Nicht, Wenn Es Dunkel Wird

Titel: Schlaf Nicht, Wenn Es Dunkel Wird Kostenlos Bücher Online Lesen
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Scham?
    Mein erstes Mal war schnell, unbequem und nicht besonders schön gewesen. Ich erinnere mich nur ungern daran, wie Roger Stillman sich zwischen meine Beine drängte, und an die hastigen Grabscher an meine Brust, die als Vorspiel reichen mussten. Und dann der plötzlich Schmerz, als er in mich eindrang, das unerwartete Gewicht seines Körpers, als er, nachdem alles vorbei war, über mir zusammensackte.
    Das letzte Mal, das ich mit einem Mann geschlafen hatte, war auch nicht bedeutend besser gewesen, dachte ich schaudernd und beneidete die sterbende alte Frau in dem Bett vor mir erneut. Sie war so offen gewesen, so ehrlich. Was würde sie denken, wenn ich genauso offen und ehrlich ihr gegenüber wäre?
    Konnte ich ihr erzählen, dass mein letztes Mal – richtiger Sex, nicht nur eine Andeutung wie mit Josh oder eine Drohung wie mit Lance – in der Nacht passiert war, als meine Mutter starb? Ich schüttelte ungläubig den Kopf. Gütiger Gott, wie hatte ich etwas so Schändliches tun können? Was um alles in der Welt war in mich gefahren?
    Offen gestanden hatte ich die Einzelheiten jener Nacht praktisch komplett verdrängt. Doch Myras Reminiszenzen hatten eine Flut eigener Erinnerungen ausgelöst. Ich lehnte mich auf meinem Stuhl zurück, starrte zum Fenster und sah im Spiegel der dunklen Scheibe die Gespenster meiner Vergangenheit.

    Ich sah mich selbst steif am Bett meiner Mutter sitzen, die offensichtlich tot war, wie man an der stillen, grauen Blässe erkennen konnte, die sich über ihren Körper gelegt hatte wie eine Glasur aus Wachs. Ihre Augen und ihr Mund standen offen, und ich streckte die Hand aus, um sie zu schließen. Ihre Haut fühlte sich kühl an. Doch selbst im Tod blieb noch ein Hauch jener Wut zurück, die sie ihr Leben lang angetrieben hatte. Selbst mit geschlossenen Augen und für immer angehaltenem Atem nistete eine gewisse Grausamkeit in ihren Zügen. Sie ist nach wie vor eine Macht, mit der man rechnen muss, erinnere ich mich, gedacht zu haben, als ich mich über sie beugte, um sie auf den Mund zu küssen, überrascht, wie weich und nachgiebig ihre Lippen waren. Wann hatte ich diese Lippen je weich auf meiner Haut gespürt? Hatte sie mich je geküsst, als ich ein Säugling und Kleinkind war? Hatten diese Lippen je meine Stirn gestreift, um zu fühlen, ob ich Fieber hatte? Hatten sie je geflüstert: »Ich liebe dich«, während ich schlief?
    Traurige Tatsache war, dass ich meine Mutter beinahe so sehr gehasst wie geliebt hatte, dass ich mein ganzes Leben lang versucht hatte, ihr zu gefallen und die realen wie imaginären Untaten wettzumachen, die ich begangen hatte. Nach ihrem Schlaganfall hatte ich alles daran gesetzt, sie wieder gesund zu pflegen, und als uns beiden klar wurde, dass sie nicht mehr genesen würde, zumindest dafür zu sorgen, dass sie es so bequem wie möglich hatte. Ich hatte so viel von meinem Leben für sie geopfert, und plötzlich war sie weg, und ich hatte nichts. Niemanden. Ich blieb mit einem so überwältigenden Gefühl der Leere zurück, dass ich nicht wusste, was ich tun sollte.
    Ich weiß noch, wie ich am Fußende ihres Bett auf und ab gelaufen bin. Hin und her. Ich spürte, wie sie mich aus ihren geschlossenen toten Augen musterte und mir ihre andauernde Missbilligung über die Schultern warf wie einen schweren
Umhang. Was für eine Krankenschwester bist du, dass du nicht einmal deine eigene Mutter am Leben erhalten konntest , hörte ich sie durch kalte, tote Lippen fragen. Und ich musste zugeben, dass es stimmte. Ich hatte sie enttäuscht. Wieder einmal. So wie ich sie immer enttäuscht hatte.
    »Es tut mir Leid«, rief ich laut. »Es tut mir so Leid.«
    So Leid, so Leid, so Leid.
    Eine traurige Ausrede für eine Krankenschwester. Und eine noch traurigere Ausrede für eine Tochter .
    Ich kann mich nicht erinnern, das Haus verlassen zu haben, obwohl ich das irgendwann offensichtlich getan haben musste. Ich musste sogar geduscht und mich umgezogen haben, obwohl ich auch daran keine Erinnerung habe. Ich weiß nur noch, dass ich in einer Bar an der Atlantic Avenue gelandet bin, mehrere Gläser Tequila gekippt und mit dem nichts sagend attraktiven Barkeeper geflirtet habe, bis er sich einem Mädchen zuwandte, das am anderen Ende des Tresens seine blonde Mähne von einer Schulter auf die andere warf. Daraufhin wandte ich meine Aufmerksamkeit einem anderen auf fade Art gut aussehenden Mann in einem schrillen Hawaii-Hemd zu, der unauffällig seinen Ehering in der Tasche

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