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Schlaf Nicht, Wenn Es Dunkel Wird

Titel: Schlaf Nicht, Wenn Es Dunkel Wird Kostenlos Bücher Online Lesen
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seiner engen Jeans verschwinden ließ, bevor er neben mir Platz nahm.
    »Ich glaube nicht, dass ich dich hier schon mal gesehen habe«, sagte er.
    Ja, das sagte er tatsächlich. Vielleicht weil es stimmte, vielleicht auch weil er zu faul war, sich etwas Originelleres auszudenken, oder weil er spürte, dass ich ein leichtes Opfer war, an das kreatives Beiwerk verschwendet war.
    »Ich bin zum ersten Mal hier«, erklärte ich ihm und versuchte – vergeblich – mein Haar über die Schulter zu werfen wie die Blondine am anderen Ende des Tresens.
    »Das erste Mal, hm?« Er machte dem Barkeeper ein Zeichen, unsere Gläser erneut zu füllen. »Ich mag erste Male. Und du?«

    Ich schenkte ihm ein, wie ich hoffte, rätselhaftes Lächeln und sagte gar nichts. Stattdessen straffte ich die Schultern und schlug die Beine übereinander, während er jede meiner Bewegungen gespannt verfolgte. Ich trug einen gestreiften Pulli, der die Rundung meiner Brüste betonte, und Riemchen-Sandalen, die provokant an meinen nackten Füßen baumelten. Er war groß und schlank mit pechschwarzem Haar und minzefarbenen Augen. Er übernahm den Großteil des Gespräches – worüber weiß ich nicht mehr. Ich bin sicher, er hat mir seinen Namen genannt, aber ich habe ihn erfolgreich verdrängt. Jack, John, Jerrod. Irgendwas mit J . Meinen Namen habe ich ihm, glaube ich, nicht gesagt. Ich bin mir nicht mal sicher, ob er danach gefragt hat.
    Wir nahmen noch ein paar Drinks, bevor er vorschlug, irgendwohin zu gehen, wo man privater war. Ohne ein weiteres Wort rutschte ich von meinem Barhocker und ging zur Tür, was mir trotz des ganzen Alkohols im Blut erstaunlich gut gelang. Genau genommen fühlte ich mich kein bisschen betrunken, obwohl ich mir hinterher eingeredet habe, dass ich sogar sehr betrunken gewesen sein muss. Doch so gerne ich das, was in jener Nacht geschehen ist, auf eine Mischung aus Trauer und Alkohol schieben möchte, weiß ich nicht mehr, ob ich das wirklich kann. Denn in Wahrheit war ich in jener Nacht nicht betrunken, zumindest nicht so betrunken, dass ich für meine Handlungen nicht mehr verantwortlich war. Wahr ist vielmehr, dass ich genau wusste, was ich tat, als ich einwilligte, die Bar zugunsten einer privateren Örtlichkeit zu verlassen, und mich von Jack, John oder Jerrod begrabschen ließ, während wir zu seinem Wagen stolperten, wo ich ihm flüsternd erklärte, dass ich gleich um die Ecke wohnte.
    Er parkte den Wagen auf der Straße vor dem Haus, und ich führte ihn durch den Garten zu meinem kleinen Häuschen. »Wer wohnt denn im Haupthaus?«, fragte er, als ich die Tür öffnete und das Licht anmachte.

    »Meine Mutter«, erklärte ich ihm mit einem Blick zu ihrem Schlafzimmerfenster.
    »Hast du keine Angst, dass sie uns sieht, wenn du das Licht anhast?«
    »Sie hat einen sehr festen Schlaf«, sagte ich, streifte meinen Pulli vor dem erleuchteten Fenster ab und hörte das stumme Keuchen meiner Mutter.
    Danach wurde nicht mehr viel geredet. Aber wenn ich tollen Sex erwartet hatte, wurde ich bitter enttäuscht. Wenn ich nach einer Art Ventil gesucht hatte, bekam ich nichts dergleichen. Stattdessen bekam ich ziemlich zielloses Zappeln und Grunzen, und als es – viel zu schnell und noch längst nicht schnell genug – vorbei war, konnte ich es kaum erwarten, dass Jack, John oder Jerrod seine enge Jeans und sein Hawaii-Hemd wieder anzog und verschwand.
    »Ich ruf dich an«, sagte er auf dem Weg zur Tür.
    Ich nickte, blickte zum Fenster meiner Mutter und spürte ihre erdrückende Missbilligung so schwer wie das Gewicht des Mannes, der gerade mein Bett verlassen hatte. Ich duschte, zog mich an, rief einen Krankenwagen und kehrte ins Haupthaus zurück, wo ich artig am Bett meiner Mutter sitzen blieb, bis er kam. Dann tilgte ich den Abend aus meiner Erinnerung, als wäre er nie passiert, und weigerte mich, je wieder daran zu denken.
    Bis jetzt.
    Ich blickte auf die Uhr. Es war Mitternacht. »Frohes neues Jahr«, flüsterte ich und küsste Myras warme Wange.
    »Frohes neues Jahr«, wiederholte sie und schlug kurz die Augen auf, sodass ihre dünnen Wimpern meine Haut streiften.
    Sekunden später war sie eingeschlafen, und ich war wieder allein.

19
     
     
    Als ich auf den Korridor trat, war mir, als hätte ich ein Geräusch gehört. Ich blieb stehen, blickte mich um, sah jedoch nur den leeren Flur. Die Hand noch immer auf der Klinke zu Myras Zimmer stand ich da, den Kopf zur Seite gelegt wie ein wachsamer Welpe, die Ohren gespitzt,

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