Schlaf süß im tiefen Grabe: Kriminalroman (German Edition)
Verbrecher ist, dann müssen Sie mir das unbedingt sagen.«
»Das mache ich, versprochen.«
Sie beendete das Gespräch, wendete den Wagen und fuhr zurück in Richtung Innenstadt. Die Meisterschneiderei Griesejohann war in einem Ladenlokal in der Obernstraße untergebracht. Eine riesige Schaufensterfront, und dahinter für jeden Passanten einsehbar die Arbeitsplätze der Mitarbeiter. Auf den ersten Blick eine einfache Werkstatt, die durch keinerlei Luxus auffiel. Es war Understatement pur, mit erstklassiger Ware.
Renate trat durch die Tür. Über ihrem Kopf bimmelte ein Glöckchen. Am Eingang stand ein Holztresen, dahinter Regale mit Hemden und Krawatten, Stoffballen und Kartons. Jenseits des Tresens waren die Arbeitstische mit den Nähmaschinen. Kleiderständer mit fertigen Anzügen, bodenlange Spiegel, Fächer mit Garnspulen, Bügeln und Maßbändern. Eine Wanduhr tickte leise.
»Einen schönen guten Tag!« Eine junge Frau trat in den Verkaufsraum. Sie war schlank und grazil und hätte ohne Weiteres als Model arbeiten können. Blasses Gesicht, blaue Augen und Bewegungen voller Anmut.
»Ich bin Renate Thun«, stellte Renate sich vor. »Sie wissen schon, wir kennen uns über Nils Bentrup.«
»Ja, ich weiß Bescheid.« Sie blickte eilig zur Straße, dann schenkte sie ihr ein verstohlenes Lächeln und stöckelte auf den Tresen zu. »Sie kommen genau passend. Um diese Zeit sind selten Kunden da. Wie aufregend.«
Sie zog einen dicken Ordner hervor, legte ihn auf den Tresen und begann darin zu blättern.
»Nils meinte, der Typ, den Sie suchen, wäre Stammkunde hier. Dann wird es nicht schwer sein, ihn zu finden. Können Sie die Anzüge beschreiben?« Sie hob den Blick und strich sich geziert eine Strähne aus dem Gesicht. »Sie werden meinen Namen doch nicht erwähnen, oder? Nils meinte, ich könnte mich auf Sie verlassen.«
»Das können Sie auch, fest versprochen. Ich will nur seine Identität herausfinden. Und danach vergesse ich, dass ich überhaupt hier war.«
Es dauerte keine fünf Minuten, da war der Mann in der Kundenkartei gefunden. Sebastian Grund. Renate glaubte kaum, dass dies sein richtiger Name war. Wahrscheinlich ein weiterer Deckname. Doch sie hoffte, die Adresse würde ihr weiterhelfen, denn dorthin waren die Anzüge geliefert worden. Eine vielversprechende Spur also.
Sie verließ den Laden und machte sich direkt auf den Weg. Sie hoffte nur, dass Sanna noch eine Weile im Präsidium beschäftigt war. Die Adresse lag im Bielefelder Westen. Eine gute Gegend, beliebt bei Yuppies und Neureichen. Sie wollte sehen, ob sie dort mehr erfahren würde.
Renate hätte gar nicht sagen können, weshalb sie diese Nachforschungen anstellte. Es würde ohnehin keinen Artikel geben. Deshalb wäre es sinnvoller gewesen, gleich zu Jens zu gehen und ihm alles zu sagen. Doch etwas hielt sie ab. Es war wohl ihr journalistischer Jagdtrieb, der sich da meldete. Sie wollte zuerst selbst nachsehen, was es mit dieser Spur auf sich hatte.
An ihrem Ziel wartete eine Überraschung auf sie. Vor dem Haus, in dem Peter Ranke wohnte, stand ein gutes Dutzend Menschen. Sie schienen auf etwas zu warten, einige waren allein, andere zu zweit oder in kleinen Gruppen. Eine Mittvierzigerin in einem Businesskostüm spazierte auf die Gruppe zu. Ihr strahlendes Lächeln, die Aktentasche, ihr ganzer Habitus – für Renate war klar, die Frau war eine Maklerin.
Sie überquerte die Straße und ging auf diese Frau zu, die Renate bereits entdeckt hatte und ihr professionell entgegenlächelte.
»Kommen Sie auch wegen der Wohnung im Dachgeschoss?«
»Ja, das tue ich.« Das war das Stockwerk, in dem der Mann wohnte. Renate glaubte nicht an einen Zufall. »Es ist doch die Wohnung von Sebastian Grund, richtig?«
»Ja, ganz richtig. Freundlicherweise hat er uns erlaubt, die Wohnung anzusehen. Seine Möbel sind schon weg, und die Renovierungsarbeiten sind abgeschlossen. Sie werden also einen guten Eindruck von der Wohnung bekommen können.«
»Davon bin ich überzeugt. Ist denn Herr Grund schon weg?«
»Ich glaube, Sie können ihn oben antreffen. Kennen Sie ihn etwa, oder weshalb fragen Sie?«
»Nein, reines Interesse.«
Die Maklerin wandte sich mit stählernem Lächeln der Gruppe zu. Renate trat einen Schritt zurück. Peter Ranke oder Sebastian Grund oder wie immer er hieß, er drohte ihr durch die Lappen zu gehen. Noch war er dort oben in seiner Wohnung, aber sobald die Besichtigung vorbei war, würde er unter Umständen endgültig abtauchen.
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