Schlaf süß im tiefen Grabe: Kriminalroman (German Edition)
Sie musste Jens Bescheid geben, damit er die Sache übernahm.
Die Menschentraube folgte der Maklerin zum Eingang. Renate wandte sich ab und wählte Jens’ Nummer im Präsidium. Doch am anderen Ende war nicht er, sondern eine Frau, die so sehr nuschelte, dass Renate nicht einmal ihren Namen verstehen konnte.
»Entschuldigung, ich dachte, dies wäre die Durchwahl von Herrn Böttger.«
»Ist es auch. Der ist nur momentan nicht zu sprechen.«
»Ich weiß. Er redet mit meiner Nichte, Sanna Marquart. Ich bin Renate Thun. Sagen Sie ihm bitte, dass ich am Telefon bin. Es ist dringend.«
»Nein, er ist nicht mehr im Gespräch. Er hat einen Außentermin. Ich weiß nicht, wann er wiederkommt. Soll ich Sie mit jemand anderem aus der Mordkommission verbinden?«
Renate war irritiert. Eine Sekunde lang wusste sie nicht, was sie machen sollte. »Nein, nein. Das ist nicht nötig«, stammelte sie. »Ich melde mich später wieder.«
Sie zögerte. Die Leute verschwanden im Haus. Die Tür fiel langsam zu. Renate war mit wenigen Schritten am Eingang und packte die Klinke, bevor die Tür ins Schloss einrasten konnte. Dann schlüpfte sie hindurch und folgte den anderen ins Treppenhaus.
Die Gegenüberstellung war erfolgreich gewesen. Sanna hatte alle Männer identifiziert. Böttger hatte daraufhin Durchsuchungsbeschlüsse erwirkt, und ein halbes Dutzend Hausdurchsuchungen waren nun im Gange. Er hoffte, dass die Tatwaffe dabei auftauchen würde, mit der Wolfgang Blank erschossen worden war. Sanna hatte in Notwehr gehandelt, davon war er überzeugt. Trotzdem würde auch gegen sie ermittelt werden.
Wahrscheinlich hatte der Mann mit dem weißen Lieferwagen die Waffe verschwinden lassen. Von ihm fehlte weiterhin jede Spur. Böttger wurde langsam unruhig. Der Typ durfte ihnen nicht durch die Lappen gehen. Er war die zentrale Figur in dem Spiel.
Nach dem Gespräch mit Sanna hatte sich Böttger kurz entschlossen auf den Weg gemacht, Beate Heitbrink zu treffen. Volker Blank zu befragen hatte wenig Sinn, aber vielleicht würde er von Beate Heitbrink etwas mehr über diesen Mann erfahren.
Die war vorerst wieder bei ihrer Schwester in Herford untergekommen. Als man sie aus der Untersuchungshaft entlassen hatte, wollte sie nicht zurück auf den Hof. Dabei sah das Haus ihrer Schwester kaum einladender aus als der Wohnwagen bei den Blanks, wie Böttger bald darauf feststellte. Es war ein kleines schmutziges Einfamilienhaus aus den 50ern, in dem die Familie Heitbrink wohnte, außerhalb der Stadt und direkt an der A2 gelegen. Böttger parkte in der Auffahrt und stieg aus. Das Donnern der vorbeijagenden Autos bot hier offenbar eine ständige Geräuschkulisse. Das Haus selbst, fand er, sah aus, als wäre es in einen Haufen Hundescheiße gefallen. Es hätte dringend einen neuen Anstrich gebraucht. Und neue Fenster. Und auch ein neues Dach, stellte er bei genauerem Betrachten fest. Je länger er darüber nachdachte, desto mehr kam er zu dem Schluss, es wäre wohl das Beste, das ganze Ding einfach abzureißen.
Immerhin war die Haustür anscheinend vor Kurzem ausgetauscht worden. Eine billige weiße Aluminiumtür, die, obwohl sie neu war, den schäbigen Eindruck des Hauses nur verstärkte. Böttger drückte die Klingel und wartete. Nach einer Weile wurde drinnen ein Schlüssel betätigt, und Beate Heitbrink steckte zaghaft ihren Kopf hindurch. Sie wirkte wie ein Kind, das einem Fremden die Tür geöffnet hatte, obwohl es allein zu Hause war.
»Guten Tag, Frau Heitbrink. Dürfte ich kurz mit Ihnen sprechen?«
»Ich … ähm … ich weiß nicht …«
Sie blickte über die Schulter ins Innere des Hauses, als fände sie dort eine Antwort. Böttger wartete. Autos schossen donnernd über die Autobahn.
»Der Anwalt sagt, ich soll ihn anrufen, wenn die Polizei mit mir reden will.«
»Das steht Ihnen natürlich frei. Es geht aber nur um ein paar Fragen. Dauert höchstens fünf Minuten. Kein Grund, dafür extra den Anwalt aus Bielefeld herkommen zu lassen. Es ist wichtig.«
Beate Heitbrink tat, was sie wahrscheinlich ihr Leben lang getan hatte, wenn ein Mann etwas von ihr wollte. Sie stellte ihre eigenen Wünsche zurück und fügte sich.
»Kommen Sie rein. Ich habe aber nicht aufgeräumt.«
Böttger trat in einen engen und dunklen Flur. Es roch wie in einem Hamsterkäfig. Vor ihm der wuchtige Körper von Beate Heitbrink, die in einen Nebenraum humpelte. Böttger folgte ihr. Er trat in eine Küche. Abgeschlagene und vergilbte Einbauschränke bestimmten
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