Schlaf süß im tiefen Grabe: Kriminalroman (German Edition)
Heim sein, sondern eins für Psychos.«
Sie hätte ihn gern bei sich aufgenommen, egal ob er nun achtzehn war oder nicht. Sie betrachtete ihn. Die dunklen Haare, seine blasse Haut, die wasserblauen Augen. Da war noch etwas anderes, das sie ansprechen musste.
»Du, Jakob«, begann sie vorsichtig. »Ich habe ja vorhin mit Jens Böttger gesprochen. Du weißt schon, der Kommissar, der gestern mit dem Auto aufgetaucht ist.«
»Ja, und weiter?«
»Er hat gesagt … nun ja. Die haben mit Erika Eckart gesprochen. Die Leiterin vom Stift. Im Computerzimmer wird alles gespeichert, weißt du, und Frau Eckart hat gesehen, was du recherchiert hast, an dem Tag, an dem wir uns kennengelernt haben.«
Jakob sah beschämt zu Boden. Er schien sich plötzlich sehr unwohl in seiner Haut zu fühlen.
»Du hast erfahren, wie mein Bruder heißt. Und was mit ihm passiert ist.«
»Das tut mir leid. Ich hätte dir das sagen müssen.«
»Warum hast du das getan?«
»Ich weiß nicht. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass wir uns ähnlich sind. Ich kann das nicht besser erklären. Deshalb wollte ich mehr über dich wissen.«
»Aber weshalb hast du dich Jannis genannt? Das war überhaupt nicht okay, Jakob.«
»Entschuldige. Ich weiß, das ist total schräg. Aber …« Er schien nach Worten zu ringen. »Ich hab überall im Netz Fotos von dir gefunden aus der Zeit. Vom Flughafen. Du im Blumenkleidchen, obwohl es viel zu kalt war. Dein Gesicht. Die Augen. Das alles hat mich total umgehauen. Du warst so verzweifelt. Das konnte man richtig sehen. Du hattest deinen Bruder verloren, er war am Strand gestorben. Du …« Er zögerte. »Du hast deinen Bruder sehr lieb gehabt, nicht wahr?«
Obwohl das doch so lange her war, spürte Sanna sofort wieder einen Kloß im Hals. »Ja, das habe ich.«
»Das hat man gesehen. Irgendetwas Besonderes war zwischen euch beiden, oder? Es muss ganz schlimm gewesen sein, als er gestorben ist. Ich wollte alles über dich und deinen Bruder wissen. Und irgendwie konnte ich mir deine Fotos stundenlang ansehen.«
»Weil ich so unglücklich war?«, fragte sie.
Er schüttelte den Kopf. »Ich …« Es schien ihm peinlich zu sein. »Ach, egal.«
»Nein, sag ruhig. Ich möchte es wissen.«
»Ich habe mir vorgestellt, du wärst meine Schwester. Ich habe mir vorgestellt, wie es wäre, wenn jemand so um mich trauern würde. Wenn sich mal jemand um mich kümmern würde. Dem nicht egal ist, was mit mir geschieht. Es war irgendwie schön, sich das vorzustellen. Ich … ich hab mich da wohl reingesteigert.«
Sanna hätte Jakob am liebsten umarmt, aber sie wusste nicht, ob er das wollte. Trotzdem fühlte sie sich ihm näher denn je.
»Ich kann deine Schwester sein, wenn du möchtest«, sagte sie, und in diesem Moment meinte sie das wortwörtlich.
Er sah überrascht auf. Sie lächelte. Ihm schienen die Worte zu fehlen. Bevor Sanna etwas sagen konnte, wurden sie von Jens Böttger unterbrochen, der im Flur aufgetaucht war.
»Frau Marquart und Herr Blank! Das ist ja eine Überraschung«, sagte er und trat auf sie zu. »Was machen Sie beide hier?«
»Ich hab Jakob zufällig getroffen, als ich zu Ihnen wollte. Wir reden nur ein bisschen. Das ist doch hoffentlich in Ordnung?«
»Warum sollte das nicht in Ordnung sein?« Er wandte sich an Jakob. »Sie werden gleich zum Jugendnotdienst gebracht, hat mir meine Kollegin gesagt. Sobald ein Streifenwagen frei ist, kommt er hierher, und wir fahren Sie rüber. Das kann nicht mehr lange dauern.«
Jakob nickte matt. Jens Böttger wandte sich an Sanna.
»Was wollten Sie denn von mir?«, fragte er.
»Ich wollte nur sagen, dass ich mit dem Bus nach Marienbüren fahre, falls meine Tante danach fragt. Ich erreiche sie nicht.«
»Falls sie auftaucht, sage ich es ihr gerne.« Er blickte sich um. »Kommen Sie mit. Das ist doch ziemlich ungemütlich hier draußen. Sie sind doch keine Gefangenen bei uns! Sie können sich in den kleinen Gruppenraum setzen und da warten.«
Er ging zu einer Tür und öffnete sie. Sanna und Jakob traten in einen hellen Raum, in dem ein paar Tische zusammengestellt waren. In der Ecke war ein Kühlschrank, auf dem eine Kaffeemaschine stand.
»Hier ist es bestimmt gemütlicher«, sagte Böttger. »Ich sage den anderen Bescheid, dass Sie hier sind.«
»Ach, Herr Böttger«, begann Sanna. »Ich hätte noch eine Frage.«
»Immer raus damit.«
»Wäre es nicht möglich, dass Jakob bei mir bleibt? Ich hätte in meiner Wohnung Platz für ihn. Dann müsste er nicht in
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