Schlaf süß im tiefen Grabe: Kriminalroman (German Edition)
kleines Stehcafé begeben. Vom Fenster aus konnte sie das Mietshaus erkennen, in dem Peter Ranke wohnte. Es schien ihr am unauffälligsten, das Haus von hier aus zu beobachten. Sie bestellte einen Kaffee, nahm ihr Handy und versuchte es noch einmal bei Jens. Zu Hause hatte sie zwischendurch den Akku aufladen müssen, bei der ganzen Aufregung hätte sie das fast vergessen. Wieder nichts. Diesmal nahm nicht einmal jemand ab, offenbar hatte er seine Rufumleitung deaktiviert.
Unruhig blickte sie hinaus. Peter Ranke, oder wie immer der Mann auch heißen mochte, war oben in seiner Wohnung. Renate hatte ihn kurz zu Gesicht bekommen, als sie mit den anderen Interessenten durch die Räume gegangen war. Ein altes Mietshaus aus dem 19. Jahrhundert mit schlichten Stuckverzierungen, dann die aufwendig sanierte Wohnung im ausgebauten Dachgeschoss, das war bestimmt nicht billig gewesen. Ranke hatte den perfekten Gastgeber gemimt. Ein Junggeselle, den es aus beruflichen Gründen aus Bielefeld wegzog. Die Wohnung war bereits ausgeräumt gewesen, also wohnte Ranke gar nicht mehr dort. Die Besichtigung war vorbei. Sicher würde er jeden Moment von hier verschwinden, unter Umständen ohne eine Spur zu hinterlassen.
Sie beschloss, nicht länger auf Jens zu warten. Sie tippte die Nummer der Zentrale des Polizeipräsidiums ein und wartete auf ein Freizeichen. Irgendjemand würde ihr schon helfen. In diesem Moment öffnete sich gegenüber die schwere Eingangstür, und Peter Ranke trat hinaus. Renate steckte das Handy eilig weg. Sie wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Sie zahlte den Kaffee und betrat die Straße. Doch Ranke ging nur ein paar Meter zu einem dunklen Mercedes, öffnete die Hintertür und hängte sein Jackett hinein. Dann öffnete er die Tür an der Beifahrerseite, nahm einen kleinen Koffer vom Sitz, verriegelte das Auto wieder und kehrte zurück. Renate drehte sich eilig um, bedeckte ihr Gesicht und schlenderte möglichst unauffällig die Straße entlang. Den Lieferwagen war er also bereits losgeworden, stellte sie fest. Ohne Notiz von ihr zu nehmen, verschwand Ranke wieder im Haus. Renate versuchte es wieder in der Zentrale. Ein Gefühl sagte ihr, es zählte jede Sekunde.
Eine dunkle Männerstimme meldete sich.
»Guten Tag«, sagte sie. »Mein Name ist Renate Thun. Ich erreiche Jens Böttger nicht in seinem Büro. Ist er im Haus?«
»Nein, er ist gerade durch die Tür. Keine Ahnung, wann er wiederkommt.«
»Können Sie mir bitte jemand anderes aus der Mordkommission geben? Es ist dringend. Es geht um den Mordfall Maike Blank.«
»Ich versuch’s mal bei Frau Schulte. Einen Augenblick.«
Eine metallische Melodie erklang, dann meldete sich eine dunkle Stimme zu Wort, die gar nicht so sehr nach einer Frau klang: »Schulte.«
»Guten Tag, Frau Schulte. Hier ist Renate Thun. Sie wissen, wer ich bin?«
»Natürlich. Geht’s um Ihre Nichte? Die wollte mit dem Bus zurück nach Marienbüren fahren.«
»Nein, es geht nicht um Sanna. Ich … Sie suchen doch nach dem Mann mit dem weißen Lieferwagen, richtig? Der Typ, der im Stift eingebrochen ist.«
»Ja, das stimmt. Allerdings …«
»Ich hab ihn!«, stieß Renate hervor.
Schweigen am anderen Ende.
»Er ist hier, in der Stadt! In seiner Wohnung im Bielefelder Westen. Ich hab die Adresse ausfindig gemacht und stehe jetzt vor dem Haus. Die Wohnung ist bereits gekündigt, er hat alles ausgeräumt. Er will abhauen, verstehen Sie? Jeden Moment. Also … wie schnell können Sie hier sein?«
»Sind Sie sicher, dass es sich um denselben Mann handelt?«, fragte sie voller Skepsis.
Renate hätte das alles lieber für sich behalten, trotzdem erzählte sie ihr eilig von dem Hotelzimmer und der Schneiderei. Dies war nicht der Zeitpunkt, seine Trümpfe in der Hinterhand zu behalten. Diese Frau musste handeln, und zwar so schnell wie möglich.
»Also gut«, sagte Frau Schulte schließlich. Sollte sie von Renates Recherchen beeindruckt sein, behielt sie das für sich. »Wir sind gleich da. Bitte unternehmen Sie nichts. Der Mann ist gefährlich, aber das wissen Sie ja.«
Dann legte sie auf. Renate steckte das Handy in die Handtasche und stöckelte die Straße hinunter. Sie ging zurück ins Stehcafé. Die türkische Frau hinterm Tresen runzelte zwar verwundert die Stirn, aber es ging Renate ja lediglich darum, nicht Peter Rankes Aufmerksamkeit zu erregen. Sie lächelte, bestellte noch einen Kaffee und stellte sich wieder an ihren Stehtisch am Fenster.
Draußen war alles ruhig.
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