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Schlaf süß im tiefen Grabe: Kriminalroman (German Edition)

Schlaf süß im tiefen Grabe: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Schlaf süß im tiefen Grabe: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Stefan Holtkötter
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amüsieren.
    »Nehmen Sie’s nicht persönlich. Er redet generell nicht viel. Mit keinem.« Sie trat auf Sanna zu und reichte ihr die Hand. »Willkommen im Stift Marienbüren. Ich freue mich, Sie wiederzusehen. Wir warten schon alle ganz sehnsüchtig auf Sie, Frau Marquart.«
    Erika Eckarts Händedruck war stählern. Sanna hätte beinahe aufgeschrien. Die Stiftsleiterin grinste jovial und pulte sich eine Zigarette aus der Packung. Sie zündete sie an und inhalierte tief.
    »Bei Ihrem letzten Besuch sah es hier noch anders aus, nicht?«, plauderte sie weiter. »Das Unwetter hat uns ganz schön zugesetzt. Vorgestern habe ich gedacht, das ganze Stift würde uns hier weggespült werden. So wie dieser Hang, der bei dem Erdrutsch runtergekommen ist. Meine Güte, was war das für eine Sintflut.«
    »Die Turnhalle ist unbeschädigt geblieben, oder?«, fragte Sanna. »Ich hab einen Blick durch die Fenster geworfen. Da sah alles in Ordnung aus.«
    »Ja, das Wasser ist nur in die Keller gelaufen. Und in den Stall. Die Sportkurse können alle planmäßig stattfinden. Wir versuchen hier, weitestgehend Normalität zu schaffen. Es hat am Wochenende eine Menge Unruhe gegeben. Wir wollen wieder Routine reinbringen. Schön also, dass Sie da sind. Sie können dabei helfen.« Sie zog an der Zigarette und blies den Rauch in die Luft. »Ein paar Bewohner kennen Sie ja schon von den Probestunden, Frau Marquart. Das wird alles ganz wunderbar, da bin ich sicher.«
    Sanna war nach ihrer Bewerbung für zwei Tage nach Marienbüren gekommen, um auszuprobieren, ob sie der Arbeit mit psychisch Kranken überhaupt gewachsen war. Sie hatte schließlich keine gezielte Ausbildung dafür, trotz ihres Studiums der Sozialpädagogik. Feldenkrais hatte sie bislang nur als Personal Trainer angeboten. Doch wäre es nach Erika Eckart gegangen, hätte sie diese Probestunden gar nicht anzubieten brauchen. »Sie haben doch in Berlin für diese Promis gearbeitet, nicht wahr?«, hatte sie gemeint. »Gehörte nicht sogar Dani Simons zu Ihren Kunden? Ich bitte Sie, Frau Marquart! Wenn Sie mit solchen Leuten zurechtgekommen sind, dann werden Ihnen unsere psychisch Erkrankten keine Probleme bereiten. Dagegen sind die harmlos.« Und tatsächlich gab es keine Probleme in den Probestunden. Im Gegenteil. Sanna mochte die Bewohner aus dem Stift. Sie mochte deren mitunter seltsames Verhalten, die Zurückgezogenheit, die auffälligen Eigenarten, die teils verschrobene Kommunikation, bei manchen die Traurigkeit. Es fühlte sich richtig an, diesen Menschen ihre Zeit zu widmen. Und umgekehrt schien es, als mochten die Bewohner des Stifts Marienbüren Sanna ebenfalls.
    »Im Moment ist Frühstückszeit«, sagte Erika Eckart. »Vielleicht kommen Sie kurz mit in den Speisesaal. Dann stelle ich Sie den Neuzugängen vor. Und ich glaube, ein paar der Mitarbeiter kennen Sie auch noch nicht.« Sie deutete auf ihre halb heruntergebrannte Zigarette. »Nur einen Moment noch, dann geht’s los.«
    Sannas Blick schweifte zum Garten, dorthin, wo der Junge verschwunden war. Die dunklen Nadelbäume standen unbewegt im Nebel. Wasser tropfte aus ihren Zweigen.
    »Wer war dieser Typ da eigentlich?«, fragte sie. »Sie meinten, er ist neu hier? Also ein Patient?«
    »Nein.« Erika Eckart stieß den Rauch durch die Nase. »Er gehört gar nicht hierhin. Wie’s aussieht, ist er von zu Hause abgehauen. Prügelnde Eltern und so weiter. Ich habe ihn erst mal aufgenommen, bis wir eine Lösung finden. Eigentlich darf ich so was gar nicht, aber … ach, was hätte ich denn tun sollen? Er stand hier plötzlich im Regen und bat um Hilfe. Was passiert war, wollte er nicht sagen. Aber er war von oben bis unten voller Wunden und Hämatome. Furchtbar sah er aus. Da hab ich ihn halt mit reingenommen.«
    »Und jetzt wohnt er hier?«, fragte Sanna verwundert. »Zusammen mit den anderen Bewohnern?«
    Erika Eckart schien die Frage unangenehm zu sein.
    »Nein, er wohnt hier nicht. Jedenfalls nicht dauerhaft. Ich hab das Jugendamt eingeschaltet, damit die sich kümmern. Sollen die ihn aus der Familie nehmen, wenn seine Eltern tatsächlich gewalttätig sind. Bis dahin, hab ich jedenfalls gesagt, kann er hierbleiben. Das nehme ich dann auf meine Kappe. Er ist jetzt in einer der betreuten Jugend- WG s im Gesindehaus. Sie wissen schon, da, wo die mit den Essstörungen sitzen. Ich dachte mir, da fällt er nicht weiter auf.«
    Sanna dachte an die Verletzlichkeit, die in seinem Blick gelegen hatte. Sie fragte sich, ob sie den
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