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Schlaf süß im tiefen Grabe: Kriminalroman (German Edition)

Schlaf süß im tiefen Grabe: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Schlaf süß im tiefen Grabe: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Stefan Holtkötter
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Jungen nun häufiger sehen würde.
    »Wie heißt er denn?«, fragte sie.
    »Er hat uns nur seinen Vornamen gesagt: Jakob. Aber der ist vielleicht auch erfunden. Mal sehen, was die Leute vom Jugendamt in Erfahrung bringen. Vielleicht ist er vermisst gemeldet worden. Ich hoffe jedenfalls, dass er spätestens morgen nicht mehr hier ist.«
    Sanna ließ ihren Blick durch den verwaisten Garten schweifen. Jakob. Sie hätte gern mehr über diesen Jungen erfahren.
    Erika Eckart hockte sich hin und löschte ihre Zigarette in einer schmutzigen Pfütze. Dann legte sie die vollgesogene und triefend nasse Kippe vorsichtig in ihre Handfläche. Mit gerümpfter Nase und ausgestrecktem Arm steuerte sie das Hauptgebäude an.
    »Also gut, können wir?«, fragte sie. »Dann stell’ ich Sie allen vor, die Sie noch nicht kennen.«
    Sanna folgte Erika Eckart zur steinernen Treppe. Jetzt ging es also los. Plötzlich erfasste sie Aufregung. Sie war gespannt, wie der erste Arbeitstag laufen würde. Ob alles so funktionierte, wie sie es sich vorgenommen hatte. Den jungen Mann aus dem Garten hatte sie kurz darauf vergessen. Stattdessen konzentrierte sie sich auf ihre Arbeit.
    Erst am späten Nachmittag erinnerte sie sich wieder an ihn. Da hatte sie gerade einen Feldenkrais-Kurs beendet und räumte die Matten zusammen. Es war der dritte Kurs an diesem Tag gewesen, wie die beiden vorherigen war er mit acht Teilnehmern besetzt. Die wenigsten der Bewohner waren in ihrem Leben schon einmal mit Feldenkrais in Berührung gekommen. Der Anspruch der Kurse war daher nicht sehr hoch. Sannas Angebote dienten ja auch hauptsächlich der Tagesstrukturierung. Natürlich war es vorteilhaft, dass sich ihre Arbeit auf sanfte Weise mit dem Körpergefühl auseinandersetzte. Trotzdem ging es für die Bewohner erst einmal nur um Struktur.
    Sanna hatte daher lediglich einige wenige, sehr leichte Übungen mit ihnen gemacht. Atemübungen, etwas Muskelentspannung. Außerdem hatte sie während der Stunden viel geredet. Über sich und ihr bisheriges Leben in Berlin, über die Grundprinzipien von Feldenkrais, über Gesundheit, Muskelaufbau und Entspannung. Im Prinzip waren es lauter Banalitäten. Doch das war gar nicht schlimm für sie. Im Gegenteil. Sie genoss die Ruhe und die Gemächlichkeit im Stift Marienbüren. Die Zurückhaltung der Bewohner. Die Langsamkeit ihrer Kurse. Alles folgte hier einem anderen Tempo, und sie mochte es, sich auf diesen ruhigen Rhythmus einzustellen.
    Als sie wieder allein in der Turnhalle war, zog sie sich die Joggingjacke über und stellte die Meditationsmusik aus. Regentropfen klopften leise gegen die Fensterscheiben. Der Himmel hatte sich wieder verdunkelt, dunkle Wolkenfetzen trieben unterhalb einer stahlgrauen Glocke. Sanna fragte sich, ob sich der Sommer in diesem Jahr überhaupt noch einmal zeigen würde. Sie nahm ihr Handtuch und warf es über die Schulter.
    Etwas veränderte sich. Da war ein Schatten. Sie hob den Kopf und drehte sich um. Ein kühler Windhauch strich ihr durchs Gesicht. Sie war nicht mehr allein. Da stand jemand in der Tür. Es war der Junge, den sie am Morgen zwischen den Fichten gesehen hatte. Jakob.
    Sanna hätte nicht gedacht, ihn so bald wiederzusehen. Sie lächelte ihm aufmunternd zu. Da war wieder diese Aura der Verletzlichkeit, die ihr bereits aufgefallen war. Sie spürte den Wunsch, sein Vertrauen zu gewinnen.
    »Hallo, Jakob«, sagte sie. »Komm doch herein.«
    Er blieb, wo er war, und ließ sie nicht aus den Augen.
    »Ich habe mich schon gefragt, ob du an meinem Kurs teilnehmen wirst. Der nächste geht in einer Stunde los. Aber wenn du Lust hast, kann ich dir schon jetzt eine Übung zeigen. Zum Kennenlernen. Was hältst du davon?«
    Ohne eine Antwort abzuwarten, ging sie zu den Matten, zog eine vom Stapel und legte sie auf den Fußboden.
    »Komm schon«, sagte sie, ihm den Rücken zugewandt. »Das macht Spaß.«
    Sie hörte ein leies Quietschen von Turnschuhen auf dem Fußboden. Er näherte sich. Es funktionierte also. Schließlich stand er neben ihr, und Sanna sah ihn lächelnd an.
    »Leg dich auf die Matte«, sagte sie. »Wir machen eine Pilates-Übung. Pilates, das habe ich in Berlin gemacht. Mit Schauspielern und Promis.«
    Er zögerte. Ein scheues Lächeln folgte, und er nahm Platz. Sanna fiel auf, wie dünn er war. Fast noch wie ein Kind. Die Vorstellung, dass er von seinen Eltern geschlagen wurde, war furchtbar. Undenkbar, dass ein Mensch es übers Herz brachte, ihm Gewalt anzutun.
    »Spüre deinen
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