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Schlaf süß im tiefen Grabe: Kriminalroman (German Edition)

Schlaf süß im tiefen Grabe: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Schlaf süß im tiefen Grabe: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Stefan Holtkötter
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Geruch frischer Farbe. Die Holzdielen hatte man vor ihrem Einzug abgezogen und gewachst. Alles war sauber und rein. In der Ecke stand ein Fernseher und an der Wand ein winziges provisorisches Schlafsofa. Tante Renate hatte das für sie organisiert, für die Zeit, bis ihre eigenen Möbel aus Berlin eintrafen. Draußen, jenseits der Fenster, sah sie die kleine Sandsteinkirche von Marienbüren. Eine Reihe gedrungener Fachwerkhäuschen stand um sie herum. Holpriges Kopfsteinpflaster, hohe Linden, doch nirgends war ein Mensch zu sehen. Regen fiel auf den verwaisten Kirchplatz nieder.
    Wie hübsch das Dörfchen war. Sie hatte keinerlei Erinnerung mehr an ihre Kindheit in Marienbüren. Sie war noch sehr klein gewesen, als ihr Vater mit der Familie nach Berlin gegangen war. Jannis, der ein bisschen älter gewesen war, konnte sich noch an vieles erinnern. Er hatte ihr von dem Haus erzählt, in dem sie gelebt hatten, und von den bewaldeten Hängen, die Marienbüren umgaben. Sannas frühste Erinnerungen stammten jedoch aus Berlin, aus ihrem neuen Heim in Dahlem. Trotzdem war sie hier zur Welt gekommen. Eigentlich war dies ihre Heimat.
    Irgendwann wandte sie sich vom Kirchplatz ab, setzte sich aufs Sofa und stellte den Fernseher an. Auf den meisten Programmen wurde über den Erdrutsch berichtet. Die Suche nach dem begrabenen Mofafahrer dauerte an, doch offenbar gab es keine Hoffnung mehr, ihn noch lebend zu bergen. Auch von dem Leichenfund am Hang wurde berichtet, doch die Informationen waren spärlich. Etwas wirklich Neues erfuhr Sanna nicht. Hauptsächlich erging man sich in Mutmaßungen, und alle warteten auf die Pressekonferenz der Polizei.
    Am Nachmittag hatte sie versucht, nach dem ganzen Schrecken ein wenig Schlaf zu finden. Doch immer, wenn sie ihre Augen schloss, sah sie das tote Kind. Der kleine Körper, das schlammige Tuch, in das er gewickelt war, vor allem aber die schwarzen Augenhöhlen, aus denen es sie angestarrt hatte.
    Sie stand auf und ging in die Küche. Tante Renate hatte zur Begrüßung eine Flasche Weißwein in den Kühlschrank gestellt. Das war typisch für sie. Auf die Idee, etwas zu Essen zu besorgen, war sie natürlich nicht gekommen. Aber an Wein, daran hatte sie gedacht. Sanna war das heute nur recht. Sie entkorkte die Flasche. Gläser standen keine im Schrank, also nahm sie eine Kaffeetasse, schenkte sich ein, kehrte zum Sofa zurück und trank einen Schluck auf ihre Tante.
    Das Handy klingelte. Auf dem Display erschien Renates Name. Sie musste einen sechsten Sinn haben.
    »Liebelein, mit dem Bus kommst du Montag nicht zum Stift Marienbüren«, begrüßte sie Sanna. »Du weißt schon, wegen dem Erdrutsch. Da fährt erst mal kein Bus hier raus. Weiß der Himmel, wann die Straße wieder in Ordnung ist. Ich bringe dich am Montag zur Arbeit. Die Versicherung stellt mir einen Leihwagen.«
    »Nein, das ist nicht nötig, Tante Renate.«
    Sanna wusste, ihre Tante legte sich für gewöhnlich wieder ins Bett, nachdem ihr Sohn sich auf den Weg zur Schule gemacht hatte. Die Arbeit bei der Zeitung fing für sie erst am späten Vormittag an.
    »Keine Widerrede. Glaubst du etwa, ich lasse dich per Anhalter fahren? Oder wie willst du sonst dahin kommen?«
    »Ich könnte doch …«
    »Ach, Unsinn. Montag acht Uhr. Und jetzt reden wir nicht mehr darüber. Sag mir lieber: Wie geht es dir in deiner neuen Wohnung? Ich fühle mich schrecklich, dass ich nicht bei dir sein kann.«
    In der Schule von Aron, ihres fünfzehnjährigen Sohns, fand ein Schulfest statt, auf dem Tante Renate beim Kuchenbasar aushalf. Sie hatte Sanna stundenlang bedrängt, sie zu begleiten. Doch Sanna wollte lieber alleine sein.
    »Es geht mir gut«, sagte sie. »Ich mag die Wohnung und den Kirchplatz. Auch wenn ich keine Erinnerungen mehr an früher habe.«
    »Kein Wunder. Du warst drei Jahre alt, als ihr hier weggezogen seid.«
    »Schon klar. Ich dachte nur …« Sie hatte gedacht, vielleicht würde sie sich trotzdem instinktiv zu Hause fühlen. Aber so war es nicht gewesen. Sanna wechselte das Thema. »Hast du eigentlich ein paar von deinen Fotos verkaufen können?«, fragte sie.
    »Aber ja. Überallhin. Vor allem die von dem Auto an der Abrisskante. Du weißt schon: ohne Feuerwehr und Absperrbänder und Bergungsmannschaften.«
    »Du scheinst dich aber nicht besonders zu freuen.«
    »Doch, doch. Das Geld kann ich gut gebrauchen.«
    Offenbar hatte sich Tante Renate mehr erhofft.
    »Bereust du es, keine Fotos von dem toten Kind geschossen zu
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