Schlaf süß im tiefen Grabe: Kriminalroman (German Edition)
mehrere Ortschaften fahren, um überhaupt ans Ziel zu gelangen. Es würde wahrscheinlich noch Monate dauern, bis die Straße wieder freigegeben würde.
Als sie endlich das Ortszentrum erreicht hatte, stellte sie den Wagen mitten auf den Kirchhof. Zwischen den kleinen Fachwerkhäusern herrschte eigentlich Parkverbot. Aber dies war eine Ausnahmesituation, und außerdem tauchte hier ohnehin nie eine Streife auf, es sei denn, die Anwohner beschwerten sich.
Sie klingelte, und Sanna drückte den Summer und ließ sie herein. In dem schmalen Treppenhaus musste Renate auf die tief hängenden Balken achtgeben, die das Haus seit Jahrhunderten zusammenhielten. Sannas Wohnung war oben im ersten Stock. Im Erdgeschoss wohnte ihre Vermieterin, eine 84-jährige Frau, die nichts mehr hörte und kaum noch die Wohnung verließ. Nicht gerade ein Nachbar, den man sich wünschte, wenn man allein und verängstigt war.
Renate klammerte sich ans hölzerne Geländer, zog den Kopf unter einem Balken ein und bemerkte dabei Sanna nicht, die oben auf dem Treppenabsatz stand und bereits auf sie wartete.
»Hallo, Tante Renate.«
»Du lieber Gott! Sanna!«
Sie fuhr zusammen und hielt sich mit großer Geste die Hand ans Herz. »Hast du mich erschreckt!« Dann nahm sie Sannas Arm und ließ sich von ihr zum Treppenabsatz hochhelfen. Sie sah zur Wohnungstür ihrer Nichte. Sie war verschlossen. Renate runzelte die Stirn.
»Was machen wir denn hier draußen? Ist mit deiner Wohnung alles in Ordnung?«
»Ja. Es ist nur so … ich bin nicht allein.«
»Nein? Wer ist denn da drin?«
»Also, das ist eine lange Geschichte«, wich sie aus. »Es ging damit los, dass wir einen Einbruch im Stift hatten. Und deshalb hab ich …«
»Moment. Ihr hattet einen Einbruch? Doch nicht, während du auf dem Gelände warst?«
»Doch, schon. Ich hab den Mann sogar gesehen. Er ist in die Verwaltung rein und hat da alles auf den Kopf gestellt. Ich wollte die Polizei rufen, aber da draußen schmiert ja ständig das Netz ab. Außerdem ging alles ganz schnell. Na ja, und dann war da auf einmal Jakob, und der Einbrecher hat …«
Renate hob die Hand. »Jakob? Wer ist das?«
»Ein Junge aus dem Stift. Der ist von zu Hause abgehauen, weil seine Eltern ihn wohl schlagen. Erika Eckart hat ihn bei uns einquartiert, bis sich die Leute vom Jugendamt darum kümmern. Jedenfalls hat der Typ mit Jakob gesprochen, draußen im Garten. Es sah aus, als würden sich die beiden kennen. Und dann … na ja, dann ist Jakob zur Talbrücke gegangen und wollte sich runterstürzen.«
Renate hatte Mühe zu folgen. »Moment, was wollte er?«
»Er wollte sich umbringen«, wiederholte sie. »Ganz plötzlich, aus heiterem Himmel. Dieser Typ sagt was zu ihm, dann dreht Jakob sich um und geht zur Brücke. Als hätte er einen Befehl bekommen. Ich bin also hinter ihm her. Hab so lange auf ihn eingeredet, bis er schließlich wieder übers Geländer zurückgeklettert ist. Ich weiß nicht, was da passiert ist. Er sagt, er kannte den Mann nicht. Und er hätte auch gar nicht wirklich springen wollen. Aber …«
»Sanna, stopp. Das geht mir alles zu schnell. Eins nach dem anderen. Jemand ist also im Stift eingebrochen. Wollte er Wertgegenstände mitnehmen? Oder war er wegen Jakob da?«
»Er hat die Kasse mitgenommen, ein Laptop und noch ein paar andere Dinge. Jakob war nur zufällig im Garten.«
»Hast du denn die Polizei informiert?«
»Ja, natürlich. Ich bin zum Hausmeister und hab ihm gesagt, was passiert ist. Der hat dann die Polizei gerufen. Die müssten jetzt im Stift sein.«
»Jetzt? Willst du damit sagen, der Hausmeister kümmert sich darum? Du hast doch den Einbruch beobachtet. Und dieser Jakob. Wieso seid ihr hier und sprecht nicht mit der Polizei?«
»Jakob will nicht mit der Polizei reden. Er hat Angst vor denen. Und ich kann ihn doch schlecht alleine lassen. Wegen der ganzen Geschichte. Das auf der Brücke und so.«
»Aber Kind, du musst doch der Polizei sagen, was du gesehen hast! Was wird deine Chefin denken, wenn sie hört, dass du einfach abgehauen bist?«
»Ich …« Sanna blickte zur Tür, als habe sie Angst, Jakob könnte sie belauschen. »Er war kurz davor zu springen, Tante Renate, verstehst du? Er hat mir einen furchtbaren Schreck eingejagt.« Sie begann zu flüstern. »Und ich glaube, er kann sich an gar nichts erinnern . Er war total verstört nach der Geschichte. Ich wollte ihn von da wegbringen. Das war erst mal wichtiger als das mit der Polizei. Also habe ich den
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