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Schlaf süß im tiefen Grabe: Kriminalroman (German Edition)

Schlaf süß im tiefen Grabe: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Schlaf süß im tiefen Grabe: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Stefan Holtkötter
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schmale Kante hinaus. Seine Augen waren weit aufgerissen. Es wirkte, als würde der Abgrund ihn jeden Moment nach unten ziehen.
    Sanna verlangsamte ihre Schritte. Ihre Gedanken rasten. Das Psychologie-Seminar. Hatte es da irgendwas gegeben, das ihr jetzt helfen würde? Wohl kaum. Sie musste mit ihm reden, das war klar. Und zwar vorsichtig. Aber was sollte sie sagen?
    »Jakob! Hörst du mich? Ich bin’s, Sanna.«
    Er beachtete sie nicht. Als wäre sie gar nicht anwesend. Sanna machte einen weiteren vorsichtigen Schritt auf ihn zu.
    »Ich weiß nicht, wieso du das hier tust«, sagte sie. »Ich habe nicht den Hauch einer Ahnung, woher auch. Aber ich möchte dir helfen. Willst du mir nicht sagen, was dich bedrückt? Was ist los? Vielleicht gibt es ja einen Ausweg.«
    Doch er löste den Blick nicht vom Abgrund. Sein nasses Hemd klebte am Körper. Die Hämatome, von denen Erika Eckart erzählt hatte, schimmerten durch den Stoff. Er wirkte wieder so dünn und zerbrechlich wie bei ihrer ersten Begegnung.
    Nicht noch ein Toter, dachte sie. Das darf nicht passieren. Nicht Jakob.
    »Bitte!«, flehte sie. »Ich möchte mit dir reden.«
    Und anscheinend ließ ihn irgendetwas in ihrer Stimme schließlich aufhorchen. Er riss sich nun vom Abgrund los und betrachtete sie. Sein Blick war verstört.
    »Jakob, du bist mir nicht egal. Hörst du? Ich will nicht, dass du springst. Bitte, gib mir deine Hand.«
    Sie dachte an die Leiche des Kindes, die sie nach dem Erdrutsch entdeckt hatte. An Jannis, dort am Strand in Kroatien. Das musste doch mal ein Ende haben. Wie viele Tote würde sie noch ertragen können?
    Sie machte einen weiteren kleinen Schritt auf ihn zu.
    »Jakob, deine Hand … gib sie mir.«
    Doch es war vorbei. Er wandte den Blick ab. Seine Aufmerksamkeit richtete sich auf den Abgrund. Und plötzlich wurde Sanna klar: Er wird springen. Jetzt.
    Alles wiederholte sich. Sie schaffte es nicht, die Menschen zu retten, die starben. Alles entglitt ihr.
    »Nein! Nicht!«
    Es war zu spät.
    » JANNIS !«
    Er hielt inne. Sie hatte seine Aufmerksamkeit.
    »Bleib bei mir, Jannis! Bitte. Spring nicht!«
    Sie wusste nicht, weshalb sie ihn so nannte. Es war ein Impuls gewesen. Er sah zu ihr auf. Die wasserblauen Augen verloren alles Unergründliche. Verzweiflung trat nun in seinen Blick. Der Abgrund und die Autobahn schienen ihm plötzlich Angst zu machen. Er klammerte sich ans Geländer.
    Sie streckte den Arm aus. Gleich hätte sie ihn erreicht.
    »Gib mir deine Hand, Jannis«, sagte sie.
    Er sah wieder hinunter. Panik flackerte in seinen Augen auf. Ängstlich sah er zu Sanna, die nun am Geländer stand.
    »Gib mir deine Hand«, sagte sie wieder.
    Er löste seinen Klammergriff. Langsam und zitternd. Unentschieden. Doch schließlich hob er eine Hand vorsichtig übers Geländer. Nur Zentimeter fehlten noch. Er sah hinunter, zögerte. Doch dann entschied er sich offenbar, ihr den Arm entgegenzustrecken.
    Und Sanna packte mit festem Griff zu.

5
    Der Saal war bereits dramatisch überfüllt. Die Luft stickig und verbraucht. Dabei hatte die Pressekonferenz noch nicht einmal angefangen. Ein paar junge Beamte trugen eilig Klappstühle heran, um die vielen Journalisten irgendwie im Saal unterzubringen. Kabel wurden verlegt, Kameras aufgebaut, Fotografen brachten sich in Stellung und Kollegen verschiedener Zeitungen standen herum und plauderten. Überall herrschte reges Treiben.
    Renate Thun hielt nach einem freien Platz Ausschau. Sie schob sich die strassbesetzte Lesebrille ins Haar und nahm ihre Laptoptasche unter den Arm. Es war ein ungewohntes Bild, das sich ihr bot. Bei der letzten Pressekonferenz im Polizeipräsidium, die sie erlebt hatte, waren nur ein halbes Dutzend Journalisten da gewesen. Wirklich kein Vergleich zu diesem Jahrmarkt hier. Es war um einen Gebrauchtwagenhändler gegangen, der bei einem Überfall erschlagen worden war. Renate hatte für den Lokalteil darüber geschrieben.
    Doch dieser Fall war eben anders. Erst der Erdrutsch, der es allein schon in die Hauptnachrichten geschafft hatte. Und dann der mysteriöse Leichenfund. Zu allem Überfluss war es eine Kinderleiche gewesen, die da ans Tageslicht gespült worden war. Eine Tatsache, die wiederum alle großen Zeitungen und Fernsehsender auf den Plan rief. Zwei Tragödien auf einmal, ein totes Mädchen, das keiner vermisste, so etwas sorgte ordentlich für Quote.
    Renate hockte sich auf einen freien Klappstuhl an der Rückseite des Saals, packte sich das Laptop auf den Schoß
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