Schlaf süß im tiefen Grabe: Kriminalroman (German Edition)
erfahren.
Nach dem Ende der Pressekonferenz standen die Beamten auf und traten den Rückweg durch die Nebentür an, durch die sie gekommen waren. Es fiel Renate immer noch schwer zu glauben, dass Jens da vorne war. Rundherum standen Kollegen auf, es wurde in Taschen gekramt, Unterhaltungen wurden geführt, eine junge Frau lachte durchdringend. Bevor Jens durch die Tür verschwand, sah Renate, wie die Pressesprecherin ihm etwas zuflüsterte. Er blickte auf und lächelte. Dieses Lächeln. Als wäre es gestern gewesen.
Sie musste ihm Guten Tag sagen, unbedingt. Eilig packte sie ihre Sachen zusammen und bahnte sich einen Weg zu der Nebentür, um ihn abzufangen, bevor er verschwunden war. Das Handy klingelte. Ohne die Tür aus den Augen zu lassen, zog sie das Gerät aus der Jackentasche. Es war Sanna. Sie nahm das Gespräch an.
»Sanna, Schatz, kann ich dich gleich zurückrufen?«, fragte sie, während sie sich an Kollegen vorbeischob. »In zehn Minuten?«
»Ja, natürlich. Kein Problem.«
Ihre Stimme. Etwas war nicht in Ordnung, das hörte Renate sofort. Sie presste das Handy ans Ohr.
»Ist was passiert? Geht’s dir gut?«
»Ja, mir geht’s gut. Es ist nur … ich … ach, wir reden später. Ich will jetzt nicht stören.«
Renate kannte ihre Nichte. Wenn auch nur etwas weniger als der Weltuntergang vorgefallen wäre, würde sie ihr wortreich versichern, dass alles in bester Ordnung wäre und sie keine Hilfe bräuchte.
»Wo bist du, Sanna?«, fragte sie besorgt.
»Zu Hause. In Marienbüren.«
»Bist du verletzt? Hat dir jemand etwas angetan?«
»Nein, es geht mir gut. Es ist nur … ach, das ist eine lange Geschichte. Ruf mich einfach später noch mal an, ja?«
»Nein. Du sagst mir jetzt sofort, was los ist!«
»Aber du bist doch beschäftigt.«
Renate wandte sich zur kleinen Seitentür des Saals. Jens Böttger und sein Gefolge marschierten gerade hinaus. Ein paar Sekunden, dann war er aus ihrem Blickfeld verschwunden.
»Ach, nicht der Rede wert«, sagte sie. »So beschäftigt bin ich gar nicht. Sag mir lieber, was los ist.«
»Das ist schwer zu erklären.« Sanna zögerte. »Ich hab hier ein Problem, da … Ich weiß nicht, was ich tun soll. Kannst du vielleicht kommen, Tante Renate? Ich würde gerne mit dir darüber sprechen.«
»Natürlich komme ich. Ich breche sofort auf. Wird nicht lange dauern.«
»Danke«, sagte sie und holte Luft. »Ich warte hier.«
Renate beendete das Gespräch. Voller Sorge machte sie sich auf den Weg zu ihrem Auto. An Jens Böttger konnte sie nun keinen Gedanken mehr verschwenden. Sanna geht es gut, versuchte sie sich zu beruhigen. Es ist ihr nichts passiert. Sie ist gesund und unversehrt. Vielleicht hatte sie Ärger am Arbeitsplatz. Nichts, was nicht wieder in Ordnung kommen könnte.
Apropos Arbeitsplatz. Die Einweihung des DRK -Kindergartens kam ihr in den Sinn. Die festliche Veranstaltung würde in einer halben Stunde beginnen. Sie zog noch mal ihr Handy hervor und wählte die Nummer von Nils Bentrup, einem Gymnasiasten aus Marienbüren, der ab und zu als freier Mitarbeiter für die Zeitung arbeitete.
»Nils, musst du gerade was für die Schule tun?«, begrüßte sie ihn.
Er wusste natürlich sofort, was los war. »Nein, gar nichts«, sagte er. »In der Schule ist gerade überhaupt nichts los.« Betont aufgeräumt fragte er: »Wieso? Haben Sie einen Job für mich?«
Renate seufzte. Die Lüge war offensichtlich. Bestimmt würde er morgen eine wichtige Klausur schreiben und müsste heute Abend dringend lernen. Aber darauf konnte sie jetzt keine Rücksicht nehmen.
»Gleich ist eine Feierlichkeit beim Deutschen Roten Kreuz. Die weihen ihren neuen Kindergarten ein. Kannst du für mich dahin gehen?«
»Na klar! Ich bin dabei. Mit Foto, nehme ich an?«
Fotos brachten im Verhältnis zum Arbeitsaufwand wesentlich mehr Honorar ein als ein geschriebener Artikel. Ihrem Chef würde das überhaupt nicht gefallen. Er versuchte gerade, die Kosten zu deckeln, und freie Mitarbeiter sollten nur dann eingesetzt werden, wenn es absolut erforderlich wäre. Renate konnte sich also schon mal auf ein bisschen Ärger einstellen.
»Mit Foto, ganz genau«, sagte sie, was einen kurzen Jubel am anderen Ende der Leitung auslöste. »Mach dich gleich auf den Weg, Nils. Und morgen früh mailst du mir alles.«
Sie steckte das Handy in die Jacke und schwang sich in den Mietwagen. Wegen des Erdrutsches dauerte die Fahrt nach Marienbüren eine Ewigkeit. Sie musste eine große Schlaufe über
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