Schlaf süß im tiefen Grabe: Kriminalroman (German Edition)
nicht gelesen. Aber vielleicht könnten Sie mir …«
»Vielleicht reden wir dann besser später darüber, Herr Böttger«, unterbrach er ihn. »Ich habe sehr wenig Zeit. Ich möchte Ihnen nicht erklären müssen, was ohnehin drinsteht.«
»Das verstehe ich. Mir geht es nur um eine konkrete Sache, die ich wissen möchte. Danach werde ich das Gutachten lesen und mich nur melden, falls weitere Fragen offenbleiben.«
»Bitte. Worum geht es denn?«
»Halten Sie es für möglich, dass Jakob seine Schwester getötet hat?«
Schweigen am anderen Ende. Schließlich ein Seufzer.
»Das lässt sich nur schwer sagen. Er hat destruktive Züge, natürlich, auch Gewalt ist ein Thema. Er tritt häufig aggressiv und jähzornig auf, Beziehungen sind für ihn stark konfliktbeladen. Aber ob er seine Schwester … das weiß ich nicht. Er gestaltet familiäre Beziehungen eher manipulativ. In diesem Kontext würde ich eher auf Selbstverletzungen tippen. Aber letztlich weiß ich das nicht.«
»Was glauben Sie denn? Darf ich Ihnen diese rein spekulative Frage stellen?«
»Ich halte es für unwahrscheinlich. Aber nicht für ausgeschlossen. Wir müssen Jakob weiter untersuchen. Er muss medikamentös richtig eingestellt werden. Das ist im Moment das Wichtigste. Danach kann ich vielleicht mehr sagen.«
Im Hintergrund Stimmen. Da war wieder die unfreundliche Vorzimmerdame, mit der Böttger schon zu tun hatte.
»Ich muss leider Schluss machen«, sagte Dörrhoff. »Lesen Sie das Gutachten. Danach können Sie gern einen Termin mit mir vereinbaren. Guten Tag.«
Und damit war das Gespräch beendet. Böttger blies die Wangen auf. Natürlich hatte er noch eine Menge anderer Fragen. Aber da würde er wohl tatsächlich einen Blick in das Gutachten werfen müssen. Er nahm seine Unterlagen und steuerte den Besprechungsraum an.
Die meisten Kollegen waren bereits versammelt. Sie hockten in kleinen Grüppchen beisammen und plauderten. Reichten Kaffeekannen herum und warfen sich Schokoriegel zu. Böttger schnappte sich ebenfalls eine Tasse und setzte sich ans Kopfende des Tischs, wo er seine Unterlagen ausbreitete.
»Soweit ich weiß, sind alle auf dem Stand«, begann Böttger. »Der Senior hat ein Alibi, und Volker Blank und Beate Heitbrink sind in Gewahrsam. Die beiden schalten auf stur, weil der Anwalt das so will. Ehrlich gesagt, verstehe ich nicht, weshalb. Die werden damit nicht durchkommen, das müsste der Anwalt eigentlich wissen. Es wäre für sie besser, mit uns zu kooperieren. Egal. Konzentrieren wir uns zuerst auf die offenen Fragen.«
Er stand auf und begann, vor der Pinnwand auf und abzugehen. »Etwas stimmt hier nämlich nicht. Erstens: Wieso haben die Blanks das Kind nirgendwo gemeldet? Das ist mir immer noch nicht klar. Es gibt doch Kindergeld, das man beziehen kann. Und das Geld könnten die bestimmt gebrauchen. Wieso hat kein Amt und keine Behörde von dem Mädchen erfahren? Die Nachbarn nicht und auch sonst keiner. Die Blanks müssen das bewusst geheim gehalten haben, davon bin ich überzeugt. Die Frage ist nur: weshalb?
Zweitens: Was hat Jakob mit der ganzen Sache zu tun? Der hat ja auch auf dem Hof gelebt. Nach Maikes Tod wird er unmittelbar in die Psychiatrie eingewiesen. Was hat das zu bedeuten? Gibt es da einen Zusammenhang? Und was sind das überhaupt für psychische Erkrankungen, die er hat? Ich frage mich: Was war da los auf diesem Hof? Wie haben die Kinder da gelebt?
Und Drittens: Wie kommen diese Leute, die von kaum mehr als dem Hartz- IV -Satz leben, an einen Anwalt wie Peter Lindholm? Das würde mich wirklich mal interessieren.«
Er ließ seinen Blick über die Runde wandern.
»Ich würde gerne daüber nachdenken. Einfach drauflos brainstormen. Ohne Zensur. Keiner soll einen Gedanken für sich behalten, nur weil er bescheuert klingen könnte.«
Er setzte sich wieder, nahm die Thermoskanne und goss sich Kaffee ein.
»Also los«, sagte er. »Fangen wir an.«
In diesem Moment ging die Tür auf. Alle reckten die Hälse, um zu sehen, welcher Nachzügler dort hereinkam. Doch es war kein Nachzügler. Im Gegenteil. Es war Kriminaloberat Brüse. Böttger runzelte die Stirn. Der hatte bei einer Dienstbesprechung nun wirklich nichts verloren.
»Machen Sie ruhig weiter«, sagte Brüse. »Lassen Sie sich nicht stören.« Er schenkte der Runde ein falsches Lächeln und nahm auf einem freien Stuhl Platz. »Ich will mich nur dazusetzen. Mehr nicht.«
Böttger spürte, wie sich sein Gesicht verhärtete.
Er war von Brüse
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