Schlaf süß im tiefen Grabe: Kriminalroman (German Edition)
stattfand, hatte sich eine Handvoll Bewohner versammelt, um dem Spektakel beizuwohnen. Und in einem Seiteneingang entdeckte sie Erika Eckart, die eine heimliche Zigarette rauchte. Sanna winkte ihr zu, doch ihre Chefin sah sie offensichtlich nicht.
Sie nahm das Handy, um bei Jakob anzurufen. Sie wollte sichergehen, dass es ihm gut ging. Doch es gab wie meistens kein Netz. Sie ging ein paar Meter, versuchte es wieder. Jetzt hatte sie ein schwaches Signal. Doch bevor sie wählen konnte, war auch hier das Netz wieder abgeschmiert. Mit einem Seufzer steckte sie das Handy weg und steuerte den Klostergarten an. Jakob würde es schon gut gehen. In zwei Stunden wäre sie wieder zu Hause. Besser, sie machte sich nicht zu viele Gedanken. Ein kleiner Spaziergang würde ihr da guttun.
Sie trat in den Garten. Das Geschehen auf dem Klosterhof rückte aus ihrem Blickfeld. Da waren dichte Hecken, moosbewachsene Baumstämme und eine Reihe hoher, dunkler Fichten. Ein einziger großer Irrgarten, und hinter der Klostermauer begann bereits der dichte Wald. Sie atmete die frische Luft ein. Ließ alle Gedanken aus ihrem Kopf schwinden. Heute Nachmittag wäre für sie der Spuk vorbei. Sie hatte Jakob geholfen, so wie sie es versprochen hatte. Den Rest sollte die Polizei herausfinden. Das betraf sie nicht mehr.
Plötzlich hörte sie ein Rascheln. Sanna blickte sich um. Hinter ihr eine dichte mannshohe Hecke. Auf der anderen Seite knackte ein Ast. Ein Schatten bewegte sich.
Sie war nicht allein im Garten. Sanna dachte sofort an den Mann vom Kirchhof. Vielleicht war das wieder der Typ. Vielleicht war er zurückgekehrt. Sie musste zum Klosterhof zurück, dorthin, wo andere Menschen waren. Hier, ganz allein im Garten, war sie nicht sicher.
Sie drehte sich um und ging eilig zurück. Am Ende der Hecke stand ein Holunderstrauch. Dahinter begann der Hof. Sanna begann zu laufen. Eine Gestalt löste sich aus dem Holunderstrauch. Sie trat vor und stellte sich ihr in den Weg. Sanna schrie auf.
»Liebes, habe ich dich etwa erschreckt?« Es war Tante Renate. »Das wollte ich nicht. Deine Chefin sagt, du bist vielleicht im Garten, wenn du nicht in der Turnhalle bist.«
Sanna atmete durch. Dann begann sie zu lachen.
»Du lieber Gott, ich hab dich wirklich erschreckt, nicht wahr?«
»Nein, Tante Renate, alles gut. Ich bin gerade nur ein bisschen dünnhäutig. Wahrscheinlich wegen des Einbruchs.« Sie betrachtete ihre Tante. »Aber was machst du hier? Ist etwas passiert?«
»Du, ich muss mal mit dir reden.« Ihre Tante überblickte das Treiben auf dem Klosterhof, dann hakte sie sich bei ihr unter und führte sie zurück in den Garten. »Es ist wichtig.«
»Ist was passiert? Jetzt sag schon.«
»Nein, ich will nur …« Sie betrachtete ihre Nichte streng. »Sanna, weißt du, wo Jakob ist?«
Jetzt ging das wieder los.
»Nein, ich weiß es nicht. Wirklich nicht.«
»Du schwindelst mich an, das merk ich doch.«
Sanna wollte standhaft bleiben. Doch ihr war klar, ihre Tante hatte sie längst durchschaut. Sie fiel in Schweigen.
»Er muss zurück in die Psychiatrie«, sagte Renate.
Was genau das war, wovor Jakob die größte Angst hatte.
»Du hast keine Ahnung, in welche Geschichten der Junge verstrickt ist. Du siehst doch selber, dass mit ihm was nicht stimmt. In einer Klinik ist er am besten aufgehoben. Da sind Therapeuten, die ihm helfen können.«
»Ich denke, du willst unbedingt mit ihm sprechen? Wegen deiner Story. Wenn er zurück in die Klinik geht, kannst du das vergessen.«
»Ach, das ist doch jetzt nicht wichtig. Es geht gerade nicht um mich.« Tante Renate fasste sie an den Schultern. »Sanna, ich weiß, du bist erwachsen. Ich kann dir nichts vorschreiben. Aber halte Abstand von Jakob. Ich bitte dich, es ist besser so.«
Tante Renate klang beinahe verzweifelt. Sanna plagte ein schlechtes Gewissen. Ihre Tante hatte sie ohnehin längst durchschaut. Da konnte sie genauso gut ehrlich zu ihr sein.
»Ich treffe ihn heute Nachmittag noch mal, Tante Renate. Aber das ist das letzte Mal. Ganz bestimmt. Danach ist er weg.«
»Er muss zurück in die Psychiatrie, unbedingt. Kannst du ihn davon überzeugen?«
»Nein. Das wird er auf keinen Fall wollen.«
»Ich verstehe.« Sie betrachtete ihre Nichte forschend. »Und du siehst ihn zum letzten Mal, sagst du? Versprichst du mir das?«
»Ja, das verspreche ich.«
Renate sah, dass Sanna es ehrlich meinte. Sie wirkte erleichtert. Sanna wunderte sich darüber. Gestern noch wollte ihre Tante unbedingt
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