Schlafende Geister
die andere für die Tiere selbst reserviert war. Es gab Regale mit Käfigen voller Wellensittiche und Kanarienvögel, es gab Mäuse und Hamster in Glaskästen, die im Sägemehl rumwuselten und durch Klorollen flitzten, und auf der rechten Seite des Ladens standen auf vier Etagen übereinander Aquarien aufgereiht. Die Aquarien blubberten und brummten und strömten einen wunderbaren Geruch nach Teichwasser aus, und als ich davorstand, die Fische beobachtete und den Duft von lebendigem Wasser einsog, erinnerte ich mich an die Flüsse und Bäche meiner Kindheit – die Marmeladengläser voller Elritzen, die Molche, den Froschlaich …
»Möchten Sie einen Fisch kaufen, junger Mann?«
Ich drehte mich um, als ich die Stimme hörte. Bridget stand hinter mir und wischte sich den Staub der Tiernahrung von den Händen. Die dicke alte Frau war gegangen und der Laden leer.
»Danke, ich schau nur«, sagte ich lächelnd.
Bridget schob die Hände in die Taschen und lächelte zurück. Sie sah wunderbar aus, einfach so, nur in Jeans und einem jadegrünen Pullover.
»Wie geht’s?«, fragte ich.
»Nicht schlecht.«
»Bist du allein?«
Sie nickte. »Sarah arbeitet samstags nicht und heute war so wenig los, dass ich Melanie gesagt hab, sie kann nach Hause.«
»Wer ist Melanie?«
»Die arbeitet als Teilzeitkraft hier. Du weißt schon, an Wochenenden, in den Schulferien …«
»Klar … und was isst du zu Mittag?«
»Normalerweise Sandwiches. Wieso?« Sie grinste. »Willst du mich zum Essen einladen?«
»Na ja, wenn du Lust hast …«
»Wieso bleiben wir nicht einfach hier?«, schlug sie vor. »Es sind genug Sandwiches für zwei da.«
»Ich hab gar keinen richtigen Hunger, um ehrlich zu sein.«
»Ich auch nicht«, sagte sie leise und trat näher an mich heran. »Aber wieso bleibst du nicht einfach so eine Weile? Ich könnte den Laden für ein, zwei Stunden zumachen.« Sie hob die Hand und fuhr behutsam mit der Fingerspitze seitlich über mein Gesicht. »Wir müssen nichts tun, wenn du nicht magst«, flüsterte sie. »Wir können auch einfach nur reden.«
Ich nickte. Ich wollte nicht reden.
Bridget lächelte mich einen Moment an, dann nahm sie mein Gesicht in ihre Hände und küsste sacht meine Lippen, bevor sie sich umdrehte und zur Tür ging. Während sie das Schild GESCHLOSSEN hinhängte und abschloss, fragte ich: »Wo ist Walter?«
»Oben.«
»Was heißt oben?«
»Ich zeig’s dir«, antwortete sie, nahm meine Hand und führte mich durch eine Tür am Ende des Ladens.
Hinter der Tür lag ein kleiner Raum, der sowohl als Küche wie auch als Lager diente. Es gab ein Spülbecken, einen Wasserboiler, einen Kessel und Tassen auf einer Theke und überall, wo ich hinschaute, standen Berge von Pappkartons hoch übereinandergestapelt an den Wänden.
»Hier lang«, sagte Bridget.
Ich folgte ihr eine schmale Holztreppe hinauf, die uns zu einem ebenso schmalen Flur führte, wo auf halber Strecke Walter zusammengerollt in einem mit Kissen vollgestopften Hundekorb lag.
»Hi, Walter«, sagte ich.
Er blickte zu mir auf und klopfte ein paarmal mit dem Schwanz, machte aber ansonsten keine Anstalten, sich zu rühren. Und so wohlig und bequem, wie er dalag, fand ich das durchaus einleuchtend.
»Was ist das hier?«, fragte ich Bridget und schaute mich um. »Wohnt hier jemand?«
»Im Moment nicht. Sarah ist hier untergeschlüpft, nachdem sie ihren Mann verlassen hatte, aber inzwischen ist sie wieder mit ihm zusammengezogen.«
»Warum hat sie ihn verlassen?«
»Er hat sie geschlagen. Tut er wahrscheinlich immer noch.«
»Und wieso ist sie dann zu ihm zurück?«
»Weiß der Himmel. Sie sagt, sie liebt ihn …« Bridget schüttelte den Kopf, um den Gedanken zu vertreiben. »Aber egal«, sagte sie und öffnete eine Tür, »das hier ist jedenfalls das Wohnzimmer.«
Ich folgte ihr in den vollgestellten, aber gemütlich wirkenden Raum. Gegenüber von einem Sofa, einem Sessel und einem halbkreisförmigen Tisch stand ein kleiner Gasofen, auf dem Boden lagen Decken und Kissen und am anderen Ende des Zimmers war ein kleines Erkerfenster, das auf die darunterliegende Straße schaute. Der ganze Raum strahlte etwas Zeitloses aus.
»Sehr schön«, sagte ich.
»Willst du auch das Schlafzimmer sehen?«
Ich nickte, traute mich aber nicht zu sprechen.
Sie führte mich durch den Raum zu einer angrenzenden Tür, öffnete sie und schob mich ins Schlafzimmer. Es hatte ungefähr die gleiche Größe wie das Wohnzimmer und wirkte genauso
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