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Schlafende Geister

Schlafende Geister

Titel: Schlafende Geister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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irgendwas stimmte nicht mit ihm, wenn du verstehst, was ich meine.«
    »Ich versteh genau, was du meinst.«
    »Also gut … sei einfach vorsichtig, okay?«
    Ich lächelte. »Okay.«
    Sie küsste mich, wuschelte mir durch die Haare, dann stand sie auf und zog sich an. Ich lag da und beobachtete sie. In dem dämmrigen Licht war ihr Haar von einem staubblassen Schein umgeben und ihre Haut wirkte cremefarben. Unten am Bauch hatte sie eine kaum sichtbare Narbe und direkt unter der linken Brust einen kleinen blauen Fleck. Die Schultern waren breiter, als ich sie mir vorgestellt hatte, und spannten den Kamm ihres Rückens mit einer grazilen Kraft, die perfekt zur Rundung ihrer Hüften passte. Ihr Po wirkte wie eine blasse Sonne an einem Wintermorgen. Es war ein Körper, der es verdiente, nackt zu sein. Und als sie in ihre Unterwäsche schlüpfte, danach den Pullover anzog und in die Jeans stieg, fragte ich mich, ob ich das alles je wiedersehen würde.
    »Weißt du, wo meine Socken sind?«, fragte sie.
    »Versuch’s mal unterm Bett.«
    Sie fand ihre Socken und zog sie an, dann ging sie durchs Zimmer und betrachtete sich im Spiegel an der Wand. Sie fuhr sich mit den Fingern durch die Haare, dann beugte sie sich dicht heran und rieb sich mit dem gekrümmten kleinen Finger etwas von der Lippe.
    »Wann triffst du deinen angeheirateten Neffen?«, fragte sie.
    »Um sechs.«
    Sie kam herüber, setzte sich auf die Bettkante und beugte sich nach unten, um ihre Schuhe anzuziehen. »Hast du die ganze Nacht zu tun?«
    »Keine Ahnung. Kommt drauf an …«
    »Entschuldige«, sagte sie lächelnd. »Ich bedränge dich schon wieder.«
    »Nein, kein Problem. Ich weiß nur einfach nicht, wie lange ich brauchen werde … Wie wär’s, wenn ich dich irgendwann später anrufe?«
    »Ja, das wär schön.« Noch immer vornübergebeugt, band sie die Schnürsenkel zu einem Doppelknoten, wischte über die Schuhspitzen, dann stampfte sie mit den Füßen leicht auf. »Wenn es nicht zu spät ist«, sagte sie fast schüchtern, »könnten wir dann vielleicht noch irgendwo hingehen?«
    »Das würde mir gefallen.«
    »Gut.«
    Ich lächelte sie an.
    »Und«, sagte sie, »ich dachte, du wolltest aufstehen?«
    »Tu ich auch.«
    »Dann mach.«
    »Ich dachte, du müsstest runter, die Kasse abrechnen?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Du hast mir zugesehen, wie ich mich angezogen habe – jetzt bin ich dran mit gucken.«
    Ich starrte sie an, auf lächerliche Weise verlegen, und wusste nicht, was ich sagen sollte.
    Sie lachte. »Schon gut, ich mach nur Spaß. Ich lass dich allein, damit du dich in Frieden anziehen kannst.«
    Sie warf noch einen Blick über die Schulter, als sie das Zimmer verließ, und ihr sorgloses, belustigtes Lächeln, in dem so viel Vertrautheit lag, sandte einen Schauer durch mein Herz.
     
    Es war still unten in der Tierhandlung. Draußen schwand das Tageslicht, die Läden waren schon zu oder wurden gerade geschlossen, Menschen gingen mit ihren Einkäufen nach Hause. Es war die Zeit, in der die Stadt Gelegenheit bekommt, sich auszuruhen, ehe das Chaos der Nacht losbricht. Im Laden machte Bridget die Abrechnung, Vögel flatterten sanft in ihren Käfigen und die Aquarien blubberten leise im Abendlicht. Ich stand an der Tür, atmete den dumpfen Geruch von Stroh und Körnern ein, den gummiartigen Hauch von Hundespielzeug, den frischen Lederduft von Halsbändern und Leinen …
    Ich wollte nicht gehen.
    Ich wollte hierbleiben.
    Ich wollte nirgendwo anders sein.
    »Dann rufst du mich also irgendwann später an?«, fragte Bridget.
    »Ja … keine Ahnung, wann.«
    »Spielt keine Rolle«, sagte sie. »Melde dich einfach, sobald du kannst.«
    Ich betrachtete sie einen Moment, erinnerte mich an den Duft ihrer Haut, die Berührung ihrer Lippen, den Atem ihrer geflüsterten Worte …
    »Geh schon«, sagte sie liebevoll. »Bis später.«
    Ich schloss die Tür auf und trat hinaus in die Dämmerung.

26
    Als ich zu meinem Büro kam, warteten draußen keine Reporter mehr und mein rechtswidrig abgestellter Fiesta war auch weg. Das Gebäude wirkte dunkel und leer, und als ich aufschloss und die Treppe hinaufging, spürte ich überall die Stille um mich herum. Sie war allgegenwärtig – in der Luft, im Staub, in den leeren Büros, im abgegriffenen alten Holz des Treppengeländers.
    Meine Schlüssel rasselten viel zu laut, als ich die Bürotür aufschloss und eintrat. Ich schaltete nicht das Licht an, bewegte mich leise durch die Dunkelheit, öffnete die Tür

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