Schlafende Geister
ging hin, zog einen kleinen Schraubenzieher ohne Griff heraus und binnen weniger Minuten hatte ich die Tür geöffnet und trat in eine kleine Küche.
Ich schloss hinter mir die Tür, holte die Taschenlampe hervor und sah mich um. Die Küche war extrem klein und eng, weder übermäßig sauber noch extrem dreckig. Es gab eine verschmutzte Keramikspüle mit einem verzogenen Abtropfgestell aus Holz, alte Schränke, einen rostfleckigen Wasserboiler, einen Resopaltisch, auf dem lauter leere KFC-Schachteln rumlagen. Für einen Moment blieb ich stehen und horchte in die Stille, dann ging ich einen schmalen Flur entlang hinüber ins Wohnzimmer. Die Vorhänge waren zugezogen, die Lichter aus. Als ich den Taschenlampenstrahl umherschwenkte, zeigte sich mir ein Raum, der niemandem gehörte. Es war ein aus dem Versandhaus möbliertes Zimmer: langweilige Bilder an der Wand, dünner Teppich auf dem Boden, ein billiges Zweisitzer-Sofa und ein dazu passender billiger Sessel. Esstisch und Regale aus beschichteten Spanplatten und die Accessoires stammten direkt aus dem Katalog: Lampe, Vase, Uhr, eine Figur aus Porzellan, die ein rehäugiges Kind darstellte. An der Wand stand eine billige Musikanlage und auf dem Fußboden ein Breitbildfernseher.
Es gab hier nichts von Ray Bishop.
Es war nicht mehr als die Vortäuschung eines Raums.
Ich verließ das Zimmer und ging nach oben.
Auf halbem Weg hinauf hing ein Samuraischwert an der Treppenhauswand. Zuerst dachte ich, es wäre irgendein Dekorationsstück aus einem Versandkatalog, doch als ich stehen blieb und mir das Schwert genauer ansah, begriff ich, dass es absolut echt war. Die Klinge – sechzig Zentimeter Stahl, leicht gebogen und rasiermesserscharf – wies sogar Gebrauchsspuren auf. Hier und da hatte sie ein paar Kerben, die beschädigten Stellen waren leicht angerostet und einige Teile der Klinge von dunkelbraunen Flecken verfärbt. Ich stand einen Augenblick davor, starrte das Schwert an und versuchte, die schwelende Angst in der Leistengegend zu ignorieren … dann ging ich weiter die Treppe hinauf.
Oben gab es einen kleinen Flur, ein Badezimmer, einen leeren Abstellraum und ein überraschend großes Schlafzimmer. Und als ich die Tür öffnete und eintrat, wusste ich, dass dies das Zimmer war, in dem Ray Bishop tatsächlich lebte . Hier oben … das war sein Zuhause. Ich brauchte es nicht mal zu sehen, ich spürte es, fühlte es – die brutale Vitalität, die mir die Luft nahm.
Ich schloss die Tür hinter mir und leuchtete mit meiner Minitaschenlampe umher. Die Wände waren schwarz, die Farbe offenbar ohne jede Sorgfalt aufgetragen. Es schien, als ob jemand im Zimmer herumgerannt wäre und so lange Farbe auf die Wände geklatscht hätte, bis sie mehr schwarz als weiß waren. Das Fenster mit Blick zur Straße war mit einem einteiligen schweren schwarzen Vorhang zugehängt. Es gab kein Bett, nur eine Decke auf dem Fußboden. Die Decke war umgeben von einem Chaos herumliegender Dinge: Spritzen, Ampullen, Taschentücher, ein Löffel, ein Milchkarton, Kekse, Brot, Joghurt, Käse, Nüsse …
»Heilige Scheiße«, flüsterte ich, trat vorsichtig an dem Chaos vorbei und leuchtete weiter mit der Taschenlampe umher. Ringsum von Wand zu Wand verliefen Regale, auf denen sich alle möglichen seltsamen Dinge sammelten: Seile und Drähte, Ketten, kleine Holzschachteln, Blechkästen, Plastikboxen, Pappkartons, Körbe, Dosen, Aktenablagen, Papierstapel, Pornomagazine, Zeitungen, Bücher, Fotos, DVDs, Messer, Gürtel, Äxte, Riemen, Röhrchen, Pillenschachteln, kleine Glasfläschchen …
Es war wie die Albtraumversion eines Herrenladens.
Während ich in dem Zimmer herumging und alles anschaute, schlug mein Herz so heftig, dass mir die Luft in der Kehle stockte und das Adrenalin durch meine Blutbahnen schoss. Mein Körper flehte mich an, wieder zu gehen – geh, geh jetzt, verschwinde, RAUS!
Aber ich konnte noch nicht gehen.
Ich musste mich weiter umschauen.
Ich wusste nicht, wonach ich eigentlich suchte … ich schaute nur.
Es war nicht schön. Die Porno-DVDs und Zeitschriften waren voll von stumpf blickenden Menschen, die abstoßende, ekelerregende Dinge taten … unnatürliche Dinge, Dinge, die nichts mit Sex zu tun hatten, nur mit Gewalt. In der einen Ecke des Zimmers stand ein kleiner Tisch, der mit einer kakifarbenen Decke verhängt war, darunter standen ein Bildschirm, ein Scanner und ein Drucker. Die Umrandung des Monitors war schwarz gestrichen. Ich ertrug es nicht, noch
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