Schlafende Geister
Kemper?«
»Könnte sein …«
Ich schaute durch die Windschutzscheibe und sah, dass wir inzwischen auf halber Höhe der Roman Road waren. Vor uns, gleich links, erkannte ich die schwarze Fachwerksilhouette des Turk’s Head, die sich vor dem umwölkten Mond abzeichnete. Ich schaute auf die Uhr am Armaturenbrett. Es war fast sieben.
»Was hältst du davon, John?«, fragte mich Cal.
»Keine Ahnung«, antwortete ich. »Lass es uns einfach rausfinden, ja?«
Der Parkplatz lag auf der Rückseite des Pubs, neben dem Biergarten. Am Haus hingen Scheinwerfer, die den größten Teil des Gartens erhellten, doch der Parkplatz selbst war unbeleuchtet.
»Wo soll ich stehen bleiben?«, fragte Cal.
»Fahr erst noch mal ein bisschen rum«, erklärte ich ihm. »Ich will sehen, ob der Nissan irgendwo steht.«
Wir fuhren ein Mal um den Parkplatz, zwei Mal, aber nirgends war ein Nissan zu sehen. Doch als wir wieder zur Rückseite des Pubs kamen, bremste Cal und nickte in Richtung eines roten Honda Prelude.
»Das ist Bishops Wagen«, sagte er. »Der Prelude.«
»Bist du sicher?«
Er nickte. »War eine der ersten Sachen, die bei dem Suchprogramm rauskamen.«
»Okay«, sagte ich. »Dann ist Bishop hier …«
»Soll ich jetzt den Wagen abstellen?«
Ich nickte. »Fahr rückwärts in die Lücke da drüben.«
Während Cal in die Parklücke zurücksetzte, die nicht zu dicht am Pub war, aber einen einigermaßen guten Blick sowohl auf den Hinterausgang als auch auf den Biergarten ermöglichte, richtete ich den Blick auf ein breites Fenster an der Rückseite des Gebäudes, durch das man bis zum Haupttresen schauen konnte. Es war schon viel los – Familien, die zu Abend aßen, Leute, die tranken, Spielautomaten, die piepten und blinkten … noch nicht der richtige Samstagabendbetrieb, aber lange würde es nicht mehr dauern. Es gab einen Raucherbereich draußen vor dem Hinterausgang, eine überdachte Terrasse mit ein paar Holztischen und -bänken, und dahinter lagen der Biergarten und der Kinderspielplatz. Es war kalt und dunkel, darum spielten dort jetzt keine Kinder, trotzdem war der Garten nicht völlig verlassen. Ein junges Pärchen saß auf einer Bank und trotzte der Kälte für ein paar Augenblicke allein. Und ein paar Teenager hingen an den Schaukeln herum, tranken Bier aus Flaschen und reichten einen Joint weiter.
»Was jetzt?«, fragte Cal.
Ich zündete eine Zigarette an. »Wir warten.«
»Wie lange?«
»So lange, wie es dauert. Wenn sie da drin sind, müssen sie irgendwann auch wieder rauskommen.«
»Und dann?«
»Sehen wir, mit wem Bishop zusammen ist, und folgen den beiden.«
»Was ist, wenn Bishop allein rauskommt?«
»Wie meinst du das?«
»Was ist, wenn Bishop mit Ray da drinnen hockt, und sobald sie fertig sind mit dem, was sie zu bequatschen haben, beschließt Bishop zu gehen, aber Ray will noch auf ein paar Drinks bleiben. Dann lässt Bishop ihn dort und kommt allein aus der Tür …«
»Und wir haben keine Möglichkeit, herauszufinden, wie Raymond aussieht.«
»Genau.«
Ich lächelte Cal an. »Was sollen wir also deiner Meinung nach tun, Sherlock?«
Er grinste. »Einer von uns muss da rein. Du kannst nicht, weil Bishop dich kennt … also bleibe per Ausschlussverfahren nur –«
»Da«, sagte ich plötzlich und starrte hinüber zum Hinterausgang. »Das ist er.«
Während Cal gebannt durch die Windschutzscheibe blickte, verließen Bishop und ein anderer Mann den Pub, bogen nach rechts ab und gingen zum anderen Ende des Raucherbereichs. Sie schienen im Gehen zu streiten, wobei hauptsächlich Bishop redete. Der Mann, mit dem er stritt, hatte ungefähr die gleiche Statur und Größe wie Bishop, vielleicht war er etwas korpulenter. Er hatte dunkle Haare, ein blasses Gesicht, einen schmallippigen Mund …
»Scheiße«, flüsterte ich. »Das muss sein Bruder sein, nicht? Das muss Ray Bishop sein.«
»Kein Zweifel«, sagte Cal. »Was glaubst du, worüber sie streiten?«
»Keine Ahnung … aber egal, was es ist, ich hab das Gefühl, es kümmert Ray einen Dreck.«
Ray zündete sich jetzt eine Zigarette an, und als das Feuerzeug aufflammte und kurz seine Gesichtszüge erhellte, sah ich recht deutlich seinen Blick, während Bishop ihn weiter beschimpfte. Es war ein Blick von fast gedankenloser Verachtung: leer, spöttisch, sorglos, gleichgültig.
Aber dann, als ich sie weiter beobachtete und sah, wie Bishop verzweifelt die Arme hochwarf, als ob er jetzt wirklich genug hätte von seinem Bruder,
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