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Schlafende Geister

Schlafende Geister

Titel: Schlafende Geister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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überrascht, wie schnell sie hier waren.« Sie sah mich an. »Läuft da irgendwas?«
    »Kann sein.«
    »Hat Cal Probleme mit der Polizei?«
    »Kommt drauf an, für wen die Leute arbeiten.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Das verstehe ich nicht.«
    »Ist alles ein bisschen kompliziert«, sagte ich auf Zeit spielend, während ich zu entscheiden versuchte, ob ich ihr trauen konnte oder nicht. Es gab keinen echten Grund, wieso ich es tun sollte. Nur weil sie ein anständiger und freundlicher Mensch zu sein schien … bedeutete das nicht zwingend, dass ich ihr vertrauen durfte. Aber es war das Einzige, worauf ich bauen konnte. Und ich beschloss blitzschnell, dass das reichen musste.
    »Es ist möglich«, erklärte ich ihr, »dass die Leute, die Cal zusammengeschlagen haben, entweder selber korrupte Polizeibeamte waren oder aber Schläger, die für einen korrupten Polizeibeamten arbeiten. Und dieser Polizeibeamte würde auch mich gern in die Finger kriegen. Natürlich weiß ich nicht, ob die beiden Polizisten auf der Intensivstation für diesen Beamten arbeiten … aber na ja, lassen Sie es mich so sagen, es könnte sein, dass ich hier ganz schnell verschwinden muss.«
    Lisa sah mich an. »Wollen Sie damit fragen, ob ich Ihnen helfe?«
    »Ja.«
    »Und woher weiß ich, dass Sie nicht lügen?«
    »Das können Sie nicht wissen.«
    Sie sah mich weiter an, ohne etwas zu sagen, dann meinte sie, scheinbar zufrieden: »Gut, kommen Sie.«
     
    Cal lag in einem kleinen Einzelzimmer ganz am Ende der Intensivstation. Die Beleuchtung auf der Station war steril und grell und die Luft erfüllt vom Hintergrundsummen der Maschinen. Mit ihrem zielstrebigen Gewimmel von Ärzten, Krankenschwestern und Pflegern wirkte die ganze Abteilung auf stille Weise geschäftig. Die beiden Polizeibeamten – zwei kraftstrotzende Typen in reflektierenden gelben Jacken – standen auf dem Flur vor Cals Zimmer, und als ich mich, mit Lisa hinter mir, der Tür näherte, baute sich der eine vor mir auf und verstellte mir den Weg, während sich der andere – der größere der beiden – zwischen Lisa und mich schob.
    »Mr Craine?«, fragte der eine. »Wir würden gern mit Ihnen reden, wenn Sie nichts dagegen haben.«
    »Ja, gut«, antwortete ich. »Aber ich denke, vorher brauchen mich die Ärzte, um meinen Neffen zu identifizieren.«
    Der größere Beamte sah seinen Kollegen an. Der zuckte die Schultern und schien verwirrt. Der Größere wandte sich wieder an mich. »Okay«, sagte er widerwillig. »Aber sobald Sie fertig sind –«
    »Kein Problem«, antwortete ich.
    Ich wartete, dass mir der andere Polizist aus dem Weg ging, dann öffnete ich die Tür und trat ein. Während mir Lisa ins Zimmer folgte und die Tür schloss, sah ich hinüber zu Cal. Er war fast nicht wiederzuerkennen. So wie er in dem Krankenhausbett lag, umgeben von Monitoren und medizinischen Geräten, durch eine Sauerstoffmaske atmend, das rechte Bein und der linke Arm in Gips, der Kopf mit Verbänden umwickelt …
    »Großer Gott«, flüsterte ich.
    Sein Gesicht war völlig zugeschwollen und übersät mit Platzwunden und Blutergüssen – die Lippen aufgesprungen und dick, die Nase gebrochen, der Kiefer verfärbt und schief –, und als ich an das Bett herantrat, erkannte ich zwischen den zahllosen Wunden auf seiner Stirnhaut einen vertrauten Abdruck: den Umriss eines ringgroßen Schädels …
    Das hier war Les Gillards Werk. Er musste uns gefolgt sein. Oder vielleicht hatte auch Ray Bishop seinen Bruder angerufen, als er mitbekam, dass er verfolgt wurde, Mick hatte Gillard angerufen und schließlich musste Ray Bishop Cal bei dem Gewerbegebiet unten am Fluss in eine Falle gelockt haben …
    Ich hörte auf, weiter darüber nachzudenken.
    Es war egal, wie es passiert war.
    Es war passiert.
    »Cal?«, sagte ich leise.
    Seine Augen waren so blutunterlaufen und geschwollen, dass ich nicht sagen konnte, ob sie offen standen oder nicht.
    Ich drehte mich zu Lisa um. »Kann er mich hören?«
    Sie nickte. »Er steht unter starken Beruhigungsmitteln, aber er ist wach. Allerdings wird er nicht antworten können.«
    Ich kniete mich neben das Bett. »Hey, Cal«, sagte ich leise. »Ich bin’s, John …« Seine Augen öffneten sich leicht, und als er mich in den Blick bekam, stieß er ein leises Stöhnen aus. Ich sah ihn an. Tränen traten mir in die Augen und ich nahm seine Hand in meine. Ich wollte ihm etwas Tröstliches sagen, etwas, damit er sich besser fühlte … ich wollte ihn in den Arm nehmen

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