Schlafende Geister
nach Leon Mercer, und wenn er nicht da ist, kannst du mit seiner Tochter reden, mit Imogen. Sie sind beide alte Freunde von mir und ich lege meine Hand für sie ins Feuer. Erzähl einfach einem von beiden genau, was passiert ist. Sie wissen dann schon, was zu tun ist.«
Sie nickte wieder. »Wieso rufst du sie dann nicht selbst an, jetzt gleich?«
»Je mehr Menschen ich mit reinziehe, desto mehr Menschen setze ich einem Risiko aus.«
»Du hast mich doch auch reingezogen.«
»Ich weiß. Tut mir leid … aber es gab keine andere Möglichkeit.«
»Du hättest mich anlügen können.«
»Ja …«
»Aber du hast es nicht getan.«
»Nein.«
Sie lächelte mich an, nickte mit dem Kopf, dann beugte sie sich zu mir rüber und küsste mich. »Sei vorsichtig, John.«
Ich sah sie einen Moment an, mehr denn je verfolgt von den Erinnerungen an Stacy, die Bridget in meinem Innern auslöste.
»Verriegel die Türen«, sagte ich. »Und ruf mich an, wenn du mich brauchst.«
Dann stieg ich aus und ging auf die Suche nach Cal.
28
Lisa Webster, die Sanitäterin, mit der ich am Telefon gesprochen hatte, war eine stämmige, dunkelhaarige Frau Mitte vierzig. Ich traf sie am Hauptempfang, und während ich ihr durch das Wirrwarr von Krankenhausfluren folgte, erzählte sie mir, was sie wusste.
»Um kurz nach acht haben wir einen anonymen Notruf erhalten. Der Ort, der uns genannt wurde, war ein kleines Gewerbegebiet unten am Fluss, und als wir dort hinkamen, lag Ihr Neffe – wenn es tatsächlich Ihr Neffe ist – auf der Straße neben seinem Wagen. Es war niemand in der Nähe, auch kein anderes Auto, deshalb wissen wir immer noch nicht genau, was passiert ist. Aber er wurde eindeutig überfallen, vermutlich von mehr als einer Person, und er war in ziemlich kritischem Zustand – ohne Bewusstsein, zahlreiche Knochenbrüche, hoher Blutverlust …« Sie sah mich an. »Wer immer das getan hat, er hat sich ziemlich übel an ihm ausgelassen.«
»Wird er wieder gesund?«
»Na ja, er ist jetzt aus dem OP und wieder bei Bewusstsein … aber ich fürchte, mehr kann ich Ihnen leider nicht sagen. Wenn wir einen Patienten eingeliefert haben, sind wir nicht mehr beteiligt.«
»Warum sind Sie dann trotzdem noch hier?«, fragte ich sie.
»Tja …«, sagte sie ein wenig verlegen. »Ich verfolge gern Dinge zu Ende, verstehen Sie? Ich habe mit Ihnen vorhin am Telefon gesprochen, ich habe Sie gebeten, herzukommen … da wollte ich die Geschichte nicht einfach fallen lassen.«
»Verstehe«, sagte ich und wartete, dass sie weiterredete.
»Und … na ja, ich kannte Ihre Frau.«
Ich stutzte. »Sie haben Stacy gekannt?«
Sie nickte. »Als Sie mir vorhin am Telefon Ihren Namen sagten, habe ich mich gefragt, ob Sie wohl der John Craine sind … und jetzt, wo ich sie sehe … nun, ich erkenne sie von den Bildern in den Nachrichten.«
»Woher kannten Sie Stacy?«
»Sie war die Lehrerin meiner Tochter. Ich kannte Ihre Frau nicht besonders gut, aber ich habe sie ein paar Mal in der Schule getroffen, und Megan – das ist meine Tochter – hat mir immer von Mrs Craine erzählt und gesagt, wie nett sie war …« Lisa sah mich an. »Meg machte damals gerade eine sehr schwere Zeit durch und Ihre Frau hat sie sehr unterstützt. Sie war eine gute Lehrerin. Deshalb, na ja … keine Ahnung … das wollte ich Ihnen wohl einfach nur sagen. Ich hatte nie die Möglichkeit, mich richtig bei ihr zu bedanken …«
Ich nickte. »Wie geht es Ihrer Tochter jetzt?«
»Wunderbar.« Lisa lächelte. »Sie hat inzwischen selbst eine Tochter … Bethany. Beth ist gerade selbst in die Schule gekommen …« Lisa sah mich an. »Entschuldigen Sie mein Gerede.«
Ich lächelte. »Schon gut.«
Sie sah den Flur entlang, dann drehte sie sich wieder zu mir um. »Ihr Neffe – wenn es wirklich Ihr Neffe ist – liegt auf der Intensivstation. Wenn Sie wollen, bringe ich Sie hin, damit Sie ihn sehen können. Aber sobald Sie seine Identität bestätigt haben, wird wohl die Polizei die Sache übernehmen wollen.«
»Die Polizei ist hier?«
Sie nickte. »Auf der Station. Sie sind zu zweit.«
»In Straßenkleidung oder in Uniform?«
»Beide sind Polizisten in Uniform.«
»Wann sind sie gekommen?«
»Etwa eine Viertelstunde nachdem Cal eingeliefert wurde.«
»Ist das üblich? Ich meine, kommt die Polizei immer auf die Intensivstation, wenn ein nicht identifiziertes Überfallopfer eingeliefert wird?«
»Es ist nicht unüblich … aber ehrlich gesagt war ich
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