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Schlafende Geister

Schlafende Geister

Titel: Schlafende Geister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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gekümmert.
    Und ich kann nicht mal sagen, dass es mich kümmerte. Irgendetwas trieb mich an, aber ob es Anna Gerrishs Geist war oder der quälende Widerhall von Stacys Tod oder nur meine eigene Wehmut und mein Selbstmitleid, hochgeputscht von den Amphetaminen … ich wusste es einfach nicht. Ich tat nur, was ich tat – fuhr über die spätnachmittäglichen Straßen, hielt Ausschau nach etwas, irgendwas …
    Das Tageslicht schwand bereits langsam, als ich über die London Road fuhr, der blasslila Himmel verdrängte das letzte Rot der Sonne. Nichts zu sehen von Tasha oder einem der anderen Mädchen. Die Straßen waren still und leer. Ich fuhr weiter. Durch die Unterführung, unter die Brücke … und dann bremste ich ab und hielt an der Bucht. Es war nur eine Parkbucht: eine triste, graue Sichel aus körnigem Beton und Unkraut, ein überquellender Abfalleimer, weggeworfene Zigarettenkippen auf dem Boden … ein kleiner, verwahrloster Ort. Am hinteren Ende der Parkbucht schwankten wild wachsende Grasbüschel steif in der Bö, die über den Straßenrand wehte. Ich spürte die Leere in der Luft.
    Es war kein Ort, an dem man die letzte halbe Stunde seines Lebens verbringen sollte.
    Ich gab Gas und fuhr los.
    Das heckengesäumte Grau der Great Hey Road führte mich aus der Stadt, vorbei an dem Abzweig zurück nach Hey, hinaus in eine pseudoländliche Welt gepflügter Äcker, im Grünen liegender Pubs und kleiner Siedlungen mit heruntergekommenen Einkaufsmärkten, vor denen Jugendliche in Jogginganzügen auf Bänken herumlungerten und darauf warteten, dass etwas geschah. Je weiter ich mich von Hey entfernte, desto ländlicher wurde die Gegend, und während sie in einem tristen Schleier von Verlassenheit vorbeizog – baufällige Gebäude, Gewächshäuser aus Plastik, Gärtnereien, die billige Töpferwaren und schlecht gemachte Vogelhäuschen verkauften –, begriff ich erst, wie viele Orte es gab, wo man leicht eine Leiche loswerden konnte, ohne große Gefahr, dass sie gefunden wurde: Gräben, Wäldchen, überwucherte Bäche, Hecken, alte Steinbrüche, verlassene landwirtschaftliche Gebäude. Und als ich die Ranges erreichte – ein ausgedehntes bewaldetes Moorgebiet, das von der Armee für militärische Übungen genutzt wurde –, wusste ich: Wenn Anna irgendwo dort lag, war es gut möglich, dass sie nie gefunden würde.
    Ich versuchte, logisch zu denken, und sagte mir, wenn ihr Entführer aus der Gegend stammte, wusste er garantiert von den Ranges, doch wenn nicht – wenn er tatsächlich ein Mann aus Leicester namens Charles Raymond Kemper war –, dann kannte er die Gegend vermutlich weniger gut, und wenn er eine Leiche im Wagen hatte, die er unbedingt loswerden wollte, würde er wahrscheinlich die erstbeste Stelle nehmen, die sich ihm bot … irgendwas, das viel näher an der Stadt lag.
    Was durchaus eine logische Schlussfolgerung war … zumindest wäre es eine gewesen, wenn ich genau gewusst hätte, ob Annas Entführer von hier stammte oder nicht. Aber das wusste ich nicht.
    Ich wusste nicht mal, ob es ihn gab.
    Ich bremste und bog auf einen verlassenen Picknickplatz am Rand der Ranges ab. Der Platz war nichts, bloß eine betonierte Fläche mit einem Holztisch in der Mitte, umgeben von Buschland, das mit Müll übersät war, und während ich den Fiesta abstellte und den Motor ausmachte, fragte ich mich, ob es sich überhaupt lohnte, hier auszusteigen und mich kurz umzuschauen. Es war der ideale Ort, um eine Leiche loszuwerden – abgelegen, doch leicht zu erreichen; von der Straße nicht einsehbar, aber andererseits auch nicht allzu verdächtig, auf allen Seiten umgrenzt von dichten Hecken, Entwässerungsgräben, Brombeergestrüpp, Nesseln und umgestürzten Bäumen …
    Als ich mir eine Zigarette anzündete, einen Blick über das Ganze warf und mich erneut fragte, was ich hier verdammt noch mal tat, klingelte mein Handy. Es war Cal und er klang ziemlich aufgeregt.
    »Ich glaube, ich hab was, John«, sagte er, die Worte förmlich herausspuckend. »Wo bist du?«
    »Bei den Ranges … was meinst du damit: Du hast was?«
    »Dreh um und fahr zurück Richtung Stadt. Hast du eine Karte dabei? Es gibt eine Kamera –«
    »Warte einen Moment«, sagte ich und versuchte, ihn zu beruhigen. »Sag mir erst, was du gefunden hast.«
    »Okay, ja … ich hab gemacht, was du mir gesagt hast, ich hab nach weiterem Filmmaterial von dem Nissan gesucht und auf der Great Hey Road gibt es tatsächlich ein paar

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