Schlafende Geister
wahrscheinlich einfach weiter.« Ich schaute wieder zu Cal. »Ich weiß, es klingt bescheuert.«
Er sah mich eine Weile an, kaute auf seiner Lippe … und für einen Moment erinnerte er mich so sehr an Stacy. Es war nicht bloß die Familienähnlichkeit – obwohl Cal die gleiche natürliche Schönheit wie Stacy besaß –, sondern die Art, wie er auf der Lippe kaute und mich ansah … Stacy hatte genau das Gleiche getan, wenn sie sich Sorgen um mich machte, vor allem um meinen Gemütszustand.
»Es ist alles in Ordnung«, sagte ich leise zu Cal. »Alles in Ordnung mit mir.«
»Ehrlich?«
Ich lächelte. »Ja.«
Er nickte. »Gut.«
»Dann machst du weiter mit den Überwachungskameras?«
»Ja.«
»Und du sagst mir Bescheid, wenn –«
»Ich ruf dich an, egal, ob ich was finde oder nicht.«
»Und wenn du noch Zeit hast –«
»Schau ich, was ich über Charles Raymond Kemper rausfinde.«
»Danke, Cal.«
»Oh, und bevor du gehst …«, sagte er und wühlte in dem Chaos auf seinem Tisch rum. »Warte … verdammte Scheiße, wo ist er? Ich weiß, dass ich ihn irgendwo hingelegt habe … ah, da.« Er stand auf, kam zu mir rüber und reichte mir einen USB-Stick.
»Was ist das?«, fragte ich.
»Das Videomaterial von der kaputten Speicherkarte, die du mir gegeben hast … ich hab alles auf den USB-Stick kopiert.«
Ich brauchte einen Moment, bis ich kapierte, wovon er sprach, doch dann erinnerte ich mich – der StayBright-Fall, Preston Elliot und sein Kugelhammer …
Es schien eine Ewigkeit her.
»War noch alles da?«, fragte ich Cal.
»Yep.«
»Du bist ein Genie«, sagte ich und steckte den Stick in die Tasche.
Cal lächelte. »Ich weiß.«
Bevor ich aufbrach, ging ich ins Badezimmer und schluckte noch eine Pille. Ich wusste, dass ich später dafür bezahlen würde – denn je länger der schwarze Ort auf Distanz gehalten wird, desto schwärzer ist er, wenn er schließlich kommt –, aber später war später. Jetzt im Moment machte mir nur zu schaffen, wie Stacy es gefunden hätte, dass ich die Pillen nahm … und als ich in den Spiegel blickte und meine total fertigen Augen sah, die mir daraus entgegenstarrten, hörte ich plötzlich die Wut und den Ärger in Stacys Stimme, die mir sagte, ich solle doch nicht bescheuert sein …
Du brauchst keine Pillen, John. Du musst dir das nicht antun.
»Tut mir leid, Stacy«, murmelte ich und steckte das Fläschchen mit den Pillen wieder ein. »Ich bin nur …«
Du bist was?
»Nichts … tut mir leid.«
15
Das Geschäft des Todes …
»Hat er sie vergewaltigt, ehe er sie erstach?«
»Wir glauben, dass die Stichwunden während der Vergewaltigung zugefügt wurden.« »Und danach hat er sie erwürgt?«
»Ja.«
»Wie ist er ins Haus gekommen?«
»Es gibt keine Zeichen eines gewaltsamen Eindringens, deshalb gehen wir im Moment davon aus, dass Ihre Frau ihn selbst hereingelassen hat. Was entweder bedeutet, dass sie ihn kannte, oder sie wurde mit einem Trick dazu gebracht, ihn hereinzulassen.«
»Wissen Sie, um welche Zeit es passiert ist?«
DI Delaney blättert in dem Aktenordner. »Der Pathologe schätzt den Todeszeitpunkt auf irgendwann zwischen 15.30 und 16.45 Uhr. Stacys Uhr, die während des Überfalls zu Bruch ging, ist um 16.17 Uhr stehen geblieben.« Er sieht mich an. »Sie haben noch gearbeitet, John. Sie hätten nichts tun können.«
Es ist sinnlos, das zu sagen, aber ich nehme es ihm nicht übel. »Gibt es irgendwelche Zeugen?«
Er schüttelt den Kopf. »Bis jetzt nicht.«
»Niemand hat was gesehen?«
»Wir müssen noch ein paar Zweitbefragungen machen und wir haben Aufrufe in der Presse und im lokalen Fernsehsender geplant. Wir tun, was wir können, John.«
»Was ist mit Spuren?«
»Das Beweismaterial vom Tatort wird noch untersucht. Fingerabdrücke wurden nicht gefunden, deshalb nehmen wir an, dass der Täter Handschuhe trug … und die vorläufigen Berichte deuten auf den Gebrauch eines Kondoms während der Vergewaltigung hin, weshalb wir auch nicht damit rechnen –«
»Ein Kondom?«
Delaney seufzt. »Das ist leider nichts Ungewöhnliches, fürchte ich. Vergewaltiger, Sexualstraftäter, Mörder … alle schauen heutzutage Fernsehen – CSI New York, Im Auftrag der Toten, Gerichtsmedizinerin Dr. Samantha Ryan und solche Serien…« Er zuckt die Schultern. »Sie wissen alle Bescheid in Sachen DNA … zumindest glauben sie es.« Er sieht mich an. »Tut mir leid, anscheinend habe ich nur schlechte Nachrichten für
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