Schlafende Geister
hörte ich mich flüstern.
Da unten war ein Gesicht.
Die Überreste eines Gesichts.
Es war nicht viel von ihm übrig und es war halb von nassen Strähnen schwarzer Haare verdeckt, aber es gab keinen Zweifel in mir, wessen Gesicht es war.
Langsam atmend nahm ich das Handy aus der Tasche und hielt es an mein Ohr.
»Cal«, sagte ich.
»Was ist los, John?«
»Ich hab sie gefunden.«
»Was?«
»Anna Gerrish … ich hab sie gefunden.«
16
Sie lag auf dem Rücken im seichten Wasser des Tümpels, vollständig nackt, der Körper hing schlaff über einem Sack mit Schutt. Ihre knochenweiße Haut war von Sand und schwarzem Morast überzogen. Ein Arm lag nach hinten unter den Körper gedreht, beide Beine waren in unnatürlichem Winkel verbogen. Ich ging davon aus, dass sie, vielleicht schon tot, von dem Erdwall geworfen worden oder einfach hinuntergefallen war und dass der Sturz ihr die Beine gebrochen hatte. Ihr Körper war übersät mit Verletzungen, wahrscheinlich Stichwunden, und an der rechten Seite des Unterleibs war etwas noch stärker Klaffendes. Ich richtete den Strahl der Taschenlampe auf ihren Hals und suchte nach der Halbmondkette, von der mir ihre Mutter erzählt hatte, doch sie war nicht da.
»John?«, fragte Cal. »Bist du da?«
»Ja …«
»Bist du sicher, dass sie es ist?«
»So sicher, wie ich nur sein kann.«
»Wo liegt sie?«
Ich erklärte es ihm.
»Und wo bist du?«, fragte er.
»Oben auf dem Wall, ungefähr drei Meter über ihr.«
»Bleib da«, sagte er entschieden. »Geh auf keinen Fall näher ran, okay?«
»Ja.«
»Rufst du die Polizei?«
»Muss ich.«
»Bishop?«
»Nein … ich wähl einfach den Notruf. Bishop wird es schon noch rechtzeitig erfahren, aber ich will nicht gleich mit ihm zu tun haben.«
»In Ordnung, nur müssen wir unsere Geschichte absprechen, ehe du irgendwen anrufst.«
»Was denn für eine Geschichte ?«
»Verdammt, John«, sagte er. »Denk mal nach … die werden doch wissen wollen, wie du sie gefunden hast. Und du kannst ihnen ja schlecht erzählen, was wir den ganzen Tag über gemacht haben, diese Scheiße mit den Überwachungskameras und so.«
»Das wird sie nicht interessieren.«
»Vielleicht, aber wenn sie anfangen, bei mir rumzuschnüffeln, und das werden sie bestimmt … Scheiße, dann bin ich im Arsch, John. Voll und ganz im Arsch.«
»Okay«, sagte ich. »Wie wär’s, wenn ich ihnen sage, dass ich bloß den Angaben gefolgt bin, die Tasha gemacht hat? Bishop weiß ja schon, dass ich mit ihr geredet habe. Wenn ich ihnen also einfach sage, was sie mir darüber erzählt hat, wie Anna in jener Nacht in ein Auto eingestiegen ist … Dann müsste ich nur erklären, dass ich Tashas Informationen gefolgt und herumgefahren bin, um nach Stellen Ausschau zu halten, wo sie vielleicht beiseitegeschafft worden sein könnte … was hältst du davon?«
»Klingt nicht sehr glaubwürdig.«
»Ich weiß … aber es ist doch ziemlich genau das, was gelaufen ist, stimmt’s? Glaubhaft oder nicht, es ist jedenfalls nah an der Wahrheit. Das Einzige, was ich ihnen unterschlage, ist, wie wir den Suchbereich eingegrenzt haben.«
»Ja, kann sein …«, sagte Cal nachdenklich. »Vielleicht solltest du aber auch den Nissan raushalten? Bishop wird doch die Morduntersuchung leiten, oder? Und wenn es irgendeine Verbindung zwischen ihm und dem Nissan gibt … na ja, dann wär’s vielleicht besser, ihm so wenig wie möglich davon zu sagen.«
»Ja, aber ich hab ihm das Kennzeichen gesimst, erinnerst du dich? Ihm ist klar, dass ich von dem Nissan weiß. Andererseits …«
»Was?«
»Na ja, es wird auf jeden Fall eine umfassende Morduntersuchung geben. Und ja, Bishop wird sie leiten. Aber wenn er wirklich etwas zu verbergen hat, dann nicht mehr nur vor mir, sondern auch vor denen, die außer ihm mit der Untersuchung befasst sind.«
»Ja, vor jedem, den er nicht in der Tasche hat.«
»Nicht alle sind korrupt, Cal.«
»Bist du sicher?«
»Ja, bin ich.«
»Scheiße, Mann …«, stöhnte er. »Das ist echt eine verdammte Kacke.«
»Pass auf«, sagte ich. »Ich ruf jetzt die Polizei an, und wenn sie hier sind, erzähl ich ihnen so viel von der Wahrheit wie möglich, ohne dich zu erwähnen, okay?«
»Und was ist mit Bishop? Was sagst du ihm?«
»Keine Ahnung … mal abwarten, was kommt.«
»Das ist alles? Du willst bloß ›abwarten, was kommt‹?«
»Ja.«
»Ist aber kein toller Plan, John.«
»Der beste Plan, ob Maus, ob Mann …«
»Was?«
»Geht
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