Schlafende Geister
oftmals ganz daneben.«
»Was?«
»Ach, nichts«, murmelte ich und schaute hinunter auf Annas bleichen Körper … nackt, abgeschlachtet, ausgeblutet …
Tot.
Für immer …
»John?«, fragte Cal. »Alles in Ordnung mit dir?«
»Nicht wirklich …«
»Willst du, dass ich –?«
»Hör zu, Cal. Ich ruf dich später wieder an, okay?«
»Ich kann kommen, wenn du willst.«
»Nein, ist schon in Ordnung. Ich … ich ruf dich später wieder an.«
Der erste Polizeiwagen erschien ungefähr fünfzehn Minuten später – zwei Uniformierte in einem Streifenwagen –, doch gerade als ich ihnen zeigte, wo die Leiche lag, kamen weitere Wagen und innerhalb einer Stunde oder so war die ehemals dunkle Abgeschiedenheit des Parkplatzes in einen hell erleuchteten, wuseligen Bienenstock verwandelt. Ein Tatortzelt war errichtet worden, Scheinwerfer strahlten, überall sah man uniformierte Beamte, Kommissare, Kriminaltechniker, Pathologen, Fotografen … und alle rannten herum und machten ihre Arbeit, wozu auch gehörte, mir jede Menge Fragen zu stellen. Bis Mick Bishop endlich auftauchte, hatte ich meine Geschichte schon mindestens drei- oder viermal erzählt. Doch als Bishop aus seinem Vectra stieg und sofort die Kontrolle übernahm, wusste ich, dass es nur auf die Geschichte ankam, die ich ihm erzählte, und darauf, wie ich sie ihm erzählte.
Ich saß mit einem weiblichen DC namens Roberts hinten in einem Polizeiwagen, als Bishop ankam. Roberts stellte mir gerade ein paar weitere Fragen – sie sollte mich vermutlich im Auge behalten. Während sie weiterredete, sah ich zu, wie Bishop den Parkplatz abschritt und sein Ding durchzog – er brüllte Befehle, verlangte Antworten, sagte Leuten, wo sie hinsollten und was sie zu tun hatten. Nicht ein einziges Mal schaute er zu mir rüber. Und er hielt sich auch nicht lange am eigentlichen Tatort auf. Ich schaute zu, wie er durch die Lücke zwischen dem Ende des Erdwalls und den Weißdornbäumen hindurchging, und in dem hellen Licht der Scheinwerfer konnte ich erkennen, wie er von oben auf den Tümpel blickte, aber näher ging er nicht ran. Er starrte nur eine Weile auf Annas nackten Körper und stellte ein paar Fragen, dann drehte er um und kehrte zurück.
Und jetzt sah ich, dass er auf mich zukam.
Er sah müde aus, seine Haut wirkte in dem grellen, sterilen weißen Scheinwerferlicht noch blasser als sonst, und in seinen Augen lag eine kalte Entschlossenheit, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Mir gefiel dieser Blick überhaupt nicht. Als er hinten um den Wagen herumkam, öffnete ihm DC Roberts die Tür.
»Wir brauchen Geräte, um die Leiche herauszuheben«, sagte er zu ihr. »Sorgen Sie dafür, okay?«
»Ja, Sir«, sagte sie, schloss ihr Notizbuch und stieg aus dem Wagen.
Bishop wartete, bis sie draußen war, dann stieg er ein, setzte sich neben mich und schloss die Tür.
»Wieso haben Sie mich nicht angerufen?«, fragte er ruhig.
»Ich hab die Polizei –«
»Wieso haben Sie mich nicht angerufen?«
»Ich hatte Ihre Nummer nicht.«
»Ich habe Ihnen doch meine Karte gegeben.«
»Tja, die hab ich verloren.«
»Schwachsinn.« Er starrte mich wütend an. »Ich hab’s Ihnen doch gesagt. Ich hab Ihnen, verdammt noch mal, ausdrücklich gesagt, dass Sie nichts tun sollen, ohne mir vorher Bescheid zu geben.«
»Ich bin einfach nur rumgefahren.«
»Ja, das hab ich gehört. Sie sind einfach nur rumgefahren und haben sie ganz zufällig gefunden. Was Besseres haben Sie nicht zu bieten?«
»Es ist die Wahrheit.«
»Gequirlte Scheiße ist das.« Er starrte mich an. »Woher wussten Sie es, John? Woher wussten Sie, wo sie lag?«
»Ich wusste es nicht.«
»Kommen Sie, John«, sagte er und lächelte schmallippig. »Mir können Sie’s sagen. Schauen Sie, es ist niemand sonst hier, nur Sie und ich … Was immer Sie mir hier und jetzt sagen, ich kann es nicht verwenden. Also machen Sie schon, halten Sie mich bei Laune, wie haben Sie sie gefunden?«
»Ich hab geschaut.«
»Das ist alles? Sie haben geschaut ?«
»Ja. War nicht allzu schwer. Ich hab nur ein paar Fragen gestellt und bin in die Richtung, in die mich die Antworten führten. Jeder wäre dazu in der Lage gewesen, wenn er sich die Mühe gemacht hätte.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
Ich zuckte die Schultern. »Nichts … ich beantworte nur Ihre Frage.«
Einen Moment sahen wir uns beide schweigend an, Bishop trommelte mit dem Ringfinger auf seinem Knie rum, den Mund fest geschlossen, die Augen
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