Schlafende Geister
Sie es nicht?«
»Nein.«
Er unterbrach sich wieder einen Moment und nickte langsam, als müsste er erst verdauen, was ich gerade gesagt hatte, und dann überlegen, was er als Nächstes fragen sollte – aber ich wusste, dass alles nur Schau war. Er wusste genau, was er tat. Und ich war mir ziemlich sicher, dass auch ich genau wusste, was er tun würde: Er würde mich nicht nach Tasha fragen oder danach, was sie mir erzählt hatte; er würde mich nicht nach dem Nissan oder dem Fahrer des Nissans fragen; er würde nichts von dem Kennzeichen erwähnen, das ich ihm gesimst hatte. Denn von alldem wollte er nichts auf Band haben.
Er schaute nach unten, schniefte, dann sah er mich wieder an. »Wo waren Sie in der Nacht, als Anna Gerrish verschwand, Mr Craine?«
»Wo ich war?«
Er nickte. »In der Nacht vom 6. auf den 7. September, am Dienstag in den frühen Morgenstunden – wo waren Sie da?«
Ich schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung.«
»Denken Sie nach.«
Ich dachte nach, dann schüttelte ich wieder den Kopf. »Das ist über einen Monat her, ich kann mich nicht erinnern. Wahrscheinlich lag ich im Bett.«
»Wahrscheinlich?«
»Ja, wahrscheinlich.«
»Aber Sie können sich nicht daran erinnern?«
»Nein …« Ich sah ihn an. »Können Sie sich erinnern, wo Sie in der Nacht waren?«
Er starrte zurück. »Ich war hier, genau in diesem Raum, von Mitternacht bis um drei Uhr morgens. Ich habe einen Zeugen wegen eines mutmaßlichen Überfalls verhört.«
Ich lächelte ihn an. »Sie haben ein gutes Gedächtnis.«
»Sie finden das lustig , Mr Craine? Eine junge Frau, erstochen … ihre Leiche an einem Parkplatz entsorgt … das finden Sie lustig ?«
Es hatte keinen Sinn, darauf zu antworten, deshalb ließ ich es.
Bishop sah mich bloß eine kurze Zeit an, dann wandte er sich an DS Coleman neben sich und sagte: »Alles klar?«
Coleman nickte.
Bishop schaute auf seine Uhr. »Befragung um 22.41 Uhr beendet.«
Coleman schaltete den Kassettenrekorder ab.
»War’s das?«, fragte ich.
Bishop nickte.
»Was ist mit –?«
»Die Befragung ist beendet«, sagte er und wandte sich an Coleman. »Lass uns fünf Minuten allein, Alan, ja?«
Mit einem weiteren schweigenden Kopfnicken stand Coleman auf, nahm die zwei Bänder aus dem Rekorder und verließ den Raum.
Bishop wartete, bis er die Tür geschlossen hatte, dann lehnte er sich auf seinem Stuhl zurück, schlug die Beine übereinander und lächelte mich an. »Sie sehen müde aus, John.«
»Sie auch.«
Er schniefte. »Okay, hören Sie zu … das hier ist ab sofort erledigt für Sie, verstanden? Sie werden jetzt nach Hause fahren, in Ihr Bett gehen, ein bisschen schlafen und morgen früh werden Sie in Ihr beschissenes kleines Büro zurückkehren und weiter Ihren beschissenen kleinen Job machen. Haben Sie mich verstanden?«
Ich antwortete nicht.
»Das hier ist jetzt eine Morduntersuchung der Polizei«, fuhr er fort. »Wenn Sie mit irgendwem in Kontakt treten – egal mit wem –, der in irgendeiner Weise mit dem Fall zu tun hat, und das schließt die Gerrishs mit ein, dann lass ich Sie wegen Behinderung der Ermittlungen, Rechtsverdrehung, Verschwendung polizeilicher Zeit … was immer mir verdammt noch mal einfällt, verhaften. Haben Sie das kapiert?«
Ich nickte. »Wissen sie es schon?«
»Wer?«
»Mr und Mrs Gerrish … haben Sie es Ihnen gesagt?«
Er seufzte. »Die beiden sind informiert worden, dass eine Frauenleiche gefunden wurde, sonst nichts. Wir können ihnen nicht mehr sagen, solange die Identität nicht bestätigt ist.«
»Aber Sie wissen, dass sie es ist, oder? Sie wissen doch, dass es Anna ist?«
»Was habe ich Ihnen gerade erklärt ?«, sagte er, langsam die Beherrschung verlierend. »Das hier geht Sie nichts mehr an. Das ist eine polizeiliche Ermittlung. Sie sind nicht die Polizei und in keiner Weise, keiner verfluchten Form involviert.« Er beugte sich vor, sprach ganz langsam und sah mir dabei in die Augen. »Also … haben Sie das verstanden?«
»Ja«, sagte ich ruhig. »Ich habe verstanden.«
»Das sollten Sie auch besser, verdammt noch mal.«
Ich sah ihn an. »Kann ich jetzt gehen?«
Er schniefte wieder, sagte einen Augenblick nichts, nur um mich zappeln zu lassen, dann machte er eine Kopfbewegung in Richtung Tür. »Ja, machen Sie schon, hauen Sie ab.«
ZWEITER TEIL
Freitag, 22. Oktober – Samstag, 23. Oktober
17
Zwei Wochen später, an einem kalten, nebligen Freitagmorgen, saß ich auf einer alten
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