Schlaflos in Schottland
tagelang schwarz, Blitze zuckten und Donner grollte.“ Bei der Erinnerung an jene Zeit verdüsterte sich Mams Blick. „Das Tal wurde überflutet, von all den Blitzen stank es entsetzlich nach Schwefel, und eiskalte Winde tobten über das Land. Ein großer Teil des Dorfes wurde weggeschwemmt, ein anderer Teil brannte ab. Die Dorfbewohner verkrochen sich vollkommen verängstigt in ihren Häusern. Eines Tages sah ich deinen Mann auf den Zinnen der Burg. Ganze zwei Stunden lang stand er kerzengerade dort oben, und als er wieder verschwand, war das Unwetter vorüber.“
Mam schaute gedankenverloren vor sich hin. „Seine Brüder wandten sich an mich, damit ich ihm half. Er war zu schwach zum Laufen, und er wäre fast gestorben, also ließen sie mich holen, damit ich ihn pflegte. Ich wusste, was passiert war, aber er wollte nicht, dass ich irgendjemandem davon erzählte - nicht einmal seiner eigenen Familie.“ Sie runzelte die Stirn. „Es liegt in der Natur von Flüchen, die zu bestrafen, denen es gelingt, einen Ausweg zu finden. Wenn er sich also mit seiner ganzen Willenskraft gegen die Hexe auflehnt, die die Familie einst mit dem Fluch belegt hat, setzt sie sich zur Wehr. Ich glaube, es könnte ihn umbringen, wenn er sich zu sehr widersetzt.“
Trionas Kehle war so eng, dass sie nicht schlucken konnte. „Ach, guck doch nicht so entsetzt!“ Mam tätschelte Trionas Hand. „Er ist ein guter Mann, das solltest du wissen und bedenken. Aber erwarte von einem Mann nicht, dass er dir recht gibt. Doch auch um dir zu sagen, dass du im Unrecht bist, muss er wahre Liebe empfinden.“
Wahre Liebe. Triona hatte sich nie für sonderlich romantisch gehalten, aber ... vielleicht hatte sie die Ehe ihrer Eltern mit verklärten Augen gesehen. Zwischen ihrer Mutter und Mam hatte immer eine gewisse Spannung geherrscht, und Vater musste öfter das Gefühl gehabt haben, zwischen den beiden Frauen zu stehen. Dennoch hatte sie ihn nie darüber reden hören. Triona fragte sich, von welchen anderen Probleme sie ebenfalls nichts wusste.
Vielleicht gab es in Wahrheit keine perfekten Ehen, sondern nur einige, die wirklich gut waren. Und das war es, was sie wollte: eine dieser wirklich, wirklich guten Ehen. Plötzlich wurde Triona klar, dass sich irgendwann während der vergangenen Wochen ihre Ziele geändert hatten. Es ging ihr nicht mehr darum, auf Gilmerton Spuren zu hinterlassen, wenn sie wieder ging. Sie wollte gar nicht mehr gehen. Nun wünschte sie sich eine vollwertige, normale Beziehung zu Hugh und seinen Töchtern. Sie wusste nicht, ob sie ihren Mann dazu bringen konnte, es zu versuchen, aber sie war bereit, den Versuch zu wagen.
„Danke, Mam.“ Triona umarmte ihre Großmutter. „Du hast mir wieder eine Menge zum Nachdenken gegeben.“
„Gut. Heutzutage denken die Menschen nicht mehr so viel nach, wie sie eigentlich sollten. Immer tun sie dieses oder jenes - aber wenn man nie nachdenkt, wie soll man dann wissen, ob man auch das tut, was man tun sollte?“
Triona gab ihr im Stillen recht. Es war viel zu früh, um zu sagen, ob es Hugh und ihr gelingen würde, einander zu lieben. Doch indem sie sich jeden Tag aufs Neue Mühe gaben, indem sie einander gegenseitig mehr in ihre Gedanken und Pläne einbezogen und offene - vielleicht sogar laute - Diskussionen führten, konnten sie sich langsam in die richtige Richtung bewegen.
Mam lächelte sie breit an. „Und jetzt zu den wichtigen Dingen, mein Mädchen.“
„Und das wäre?“, erkundigte sich Triona und lehnte sich neugierig nach vorn.
„Wenn du den letzten Scone da nicht essen möchtest, könntest du ihn dann auf meinen Teller legen? Ich habe einen weiten Weg nach Hause, und ich möchte unterwegs nicht verhungern.“ Triona lachte, überließ ihrer Großmutter den letzten Scone und sah lächelnd zu, wie die alte Frau ihn mit Marmelade bestrich.
„Da ist sie“, flüsterte Devon, während sie vorsichtig in eines der Fenster zum Salon spähte. „Sie hat Besuch von einer alten Frau.“ Christina schob sich neben Devon. Neben Catriona saß eine Frau, die über hundert Jahre alt sein musste. Ihr Gesicht war von zahllosen Falten und Runzeln durchzogen, ihre Nase war groß und gekrümmt, und ihre grauen Haare waren dünn. „Sie sieht aus wie eine Hexe!“
Devon ließ sich wieder auf ihre Hände und Knie fallen. „Wir müssen auf die andere Seite gehen. Sie sitzen dichter bei den Fenstern gegenüber.“
Christina nickte und wisperte: „Dann also durch den Rosengarten. Aber
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