Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schlaflos - Insomnia

Titel: Schlaflos - Insomnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
unheimliche Ähnlichkeit keine Folge genetischer Zusammenhänge, sondern von Massenproduktion.
    Das einzige eigentlich Seltsame, das er herausgreifen und benennen konnte, war das übernatürlich glatte Aussehen ihrer Haut - keiner von ihnen hatte auch nur eine einzige sichtbare Falte oder Runzel. Auch keine Muttermale, Flecken oder Narben, aber Ralph vermutete, dass man so etwas nicht einmal mit einem besonders guten Fernglas erkennen konnte. Abgesehen von der glatten und seltsam faltenlosen Oberfläche der Haut war alles subjektiv. Und er hatte nur einen so gottverdammt kurzen Blick darauf werfen können! Wäre er schneller an das Fernglas herangekommen, ohne das Brimborium mit Stuhl und Fischernetz, und hätte er gleich bemerkt, dass die Linsenabdeckungen noch darauf waren, statt wertvolle Zeit zu vergeuden, indem er an der Schärfeeinstellung herumfummelte, hätte er sich vielleicht einen Teil oder alles Unbehagen ersparen können, das er jetzt empfand.
    Sie sehen wie Skizzen aus, dachte er in dem Augenblick, bevor sie ihm die Rücken zudrehten. Das ist es, was mir so zu schaffen macht, glaube ich. Nicht die identischen kahlen Köpfe, die identischen weißen Kittel oder gar die fehlenden Falten. Dass sie wie Skizzen aussehen - die Augen nur Kreise, die kleinen rosa Ohren nur Filzstiftkrakel, die Münder zwei rasche, fast achtlose Striche mit hellrosa Wasserfarbe. Sie sehen weder wie Außerirdische noch wie Menschen
aus; sie sehen aus wie hastige Abbildungen von... nun, ich weiß auch nicht.
    Er wusste nur eines mit Sicherheit: Doc Nr. 1 und Doc Nr. 2 waren beide in helle Auren gehüllt, die durch das Fernglas grün-golden mit rötlich-orangefarbenen Sprenkeln durchwirkt ausgesehen hatten, die glühten wie aufwirbelnde Funken eines Lagerfeuers. Diese Auren vermittelten ein Gefühl von Kraft und Vitalität, was die konturlosen, uninteressanten Gesichter nicht vermocht hatten.
    Gesichter? Ich bin mir nicht sicher, ob ich sie wiedererkennen könnte, nicht mal, wenn mir jemand eine Pistole an die Schläfe halten würde. Es ist fast, als wären sie gemacht worden, damit man sie wieder vergisst. Wenn sie immer noch kahl wären, sicher - kein Problem. Aber wenn sie Perücken trügen und säßen, sodass ich nicht sehen kann, wie klein sie sind? Vielleicht... die fehlenden Falten könnten sie verraten... aber andererseits, vielleicht auch nicht. Aber die Auren... diese grün-goldenen Auren, in denen rote Sprenkel tanzen... die würde ich überall erkennen. Aber etwas stimmt nicht damit, oder? Aber was?
    Die Antwort fiel Ralph so plötzlich und mühelos ein, wie die beiden Wesen sichtbar geworden waren, als er endlich daran gedacht hatte, die Kappen von den Linsen des Fernglases zu nehmen. Die kleinen Ärzte waren beide in strahlende Auren gehüllt... aber bei keinem war eine Ballonschnur von dem haarlosen Kopf in die Höhe geschwebt. Nicht einmal eine Spur davon.
    Sie schlenderten mit der Sorglosigkeit von zwei guten Freunden beim Sonntagsspaziergang die Harris Avenue in Richtung Strawford-Park hinunter. Kurz bevor sie aus dem hellen Lichtkreis der Straßenlaterne vor May Lochers
Haus heraustraten, senkte Ralph das Fernglas ein wenig, damit er den Gegenstand in der rechten Hand von Doc Nr. 1 erkennen konnte. Es war kein Messer, wie er vermutet hatte, aber es war dennoch kein Gegenstand, den man gern in den frühen Morgenstunden in den Händen eines fortgehenden Fremden sah.
    Es handelte sich um eine lange Schere aus Edelstahl.

4
    Das Gefühl, als würde er unbarmherzig auf den Schlund eines Tunnels zugeschoben werden, wo alle möglichen unangenehmen Sachen auf ihn warteten, hatte sich wieder eingestellt, nur wurde es jetzt von einem Gefühl der Panik begleitet, weil es schien, als hätte er den letzten, großen Schubs bekommen, während er schlief und von seiner toten Frau träumte. Etwas in Ralphs Inneren wollte vor Entsetzen aufschreien, und er begriff, wenn er dieses Etwas nicht sofort irgendwie beschwichtigte, würde er in Kürze wirklich laut schreien. Er machte die Augen zu, holte tief Luft und versuchte, sich bei jedem Atemzug ein anderes Nahrungsmittel vorzustellen: eine Tomate, eine Kartoffel, ein Sandwich-Eis, Rosenkohl. Dr. Jamal hatte Carolyn diese einfache Entspannungstechnik beigebracht, und sie hatte die Kopfschmerzen oftmals vertrieben, bevor sie heftig wurden; sogar in den letzten sechs Wochen, als der Tumor außer Kontrolle geraten war, hatte die Technik manchmal geholfen, und sie unterdrückte jetzt auch

Weitere Kostenlose Bücher