Schlaflos - Insomnia
Badesachen unter einem großen bunten Sonnenschirm an einem Picknicktisch gesessen, frittierte Muscheln gegessen, Budweiser aus langhalsigen Flaschen getrunken und zugesehen hatten, wie Segelboote über den dunkelblauen Ozean dahinzogen. Wann war das gewesen? 1964? 1967? Spielte das eine Rolle? Wahrscheinlich nicht.
Die Veränderungen in seinem Schlafschema hätten an sich auch keine Rolle gespielt, wenn es dabei geblieben wäre; Ralph hätte sich nicht nur mit Leichtigkeit, sondern mit Dankbarkeit damit abgefunden. Alle Bücher,
die er in diesem Sommer durchstöberte, schienen eine Weisheit des Volksmunds zu bestätigen, die er sein ganzes Leben lang gehört hatte - die Leute schliefen weniger, wenn sie älter wurden. Wenn eine Stunde Schlaf weniger pro Nacht der einzige Preis sein sollte, den er für das fragwürdige Vergnügen bezahlen musste, »siebzig Jahre jung« zu sein, würde er ihn mit Freuden bezahlen und sich glücklich schätzen.
Aber es blieb nicht dabei. In der ersten Maiwoche erwachte Ralph um 5.15 Uhr durch das Zwitschern der Vögel. Ein paar Nächte lang versuchte er es mit Ohrenstöpseln, obwohl er von Anfang an bezweifelte, dass das funktionieren würde. Es waren nicht die gerade zurückgekehrten Vögel, die ihn weckten, auch nicht die Fehlzündungen der vereinzelten Laster auf der Harris Avenue draußen. Er hatte immer zu den Leuten gehört, die inmitten einer spielenden Marschkapelle schlafen konnten, und er glaubte nicht, dass sich daran etwas geändert hatte. Vielmehr hatte sich etwas in seinem Kopf verändert. Da drinnen befand sich ein Schalter, etwas drückte jeden Tag ein bisschen früher darauf, und Ralph hatte nicht die geringste Ahnung, was er dagegen tun konnte.
Im Juni schrak er wie ein Stehaufmännchen um 4.30, spätestens 4.45 Uhr aus dem Schlaf hoch. Und Mitte Juli - nicht ganz so heiß wie der Juli 92, aber immer noch heiß genug, recht schönen Dank - wachte er gegen vier Uhr auf. In diesen langen Nächten, in denen er zu wenig Platz in dem breiten Bett beanspruchte, in dem er und Carolyn in so vielen heißen (und kalten) Nächten miteinander geschlafen hatten, überlegte er sich allmählich,
dass das Leben zur Hölle werden würde, sollte der Schlaf endgültig ausbleiben. Bei Tageslicht konnte er immer noch über die Vorstellung lachen, aber er fand einige schlimme Wahrheiten über F. Scott Fitzgeralds dunkle Nacht der Seele heraus, und den Hauptgewinn bekam folgende: Um 4.15 Uhr am Morgen scheint alles möglich zu sein. Alles.
Bei Tag konnte er sich einreden, dass er lediglich eine Veränderung seines Schlafrhythmus durchmachte, dass sein Körper auf ganz normale Weise auf eine Anzahl großer Veränderungen in seinem Leben reagierte, die beiden größten davon waren seine Pensionierung und der Tod seiner Frau. Manchmal benutzte er das Wort »Einsamkeit«, wenn er über sein neues Leben nachdachte, aber er scheute vor dem grässlichen Wort zurück, das mit »D« anfing, und schob es zurück in den hintersten Winkel seines Unterbewusstseins, wann immer es einen Augenblick in seinen Gedanken aufblitzte. Einsamkeit war okay. Depressionen waren es sicherlich nicht.
Vielleicht brauchst du mehr Bewegung, dachte er. Vielleicht solltest du spazieren gehen, wie letzten Sommer. Schließlich hast du dein Leben mehr oder weniger im Sitzen geführt - du stehst auf, isst Toast, liest ein Buch, siehst etwas fern, holst dir zum Mittagessen ein Sandwich gegenüber im Red Apple, beschäftigst dich ein bisschen im Garten, gehst vielleicht in die Bücherei oder plauderst mit Helen und dem Baby, wenn du ihnen zufällig draußen begegnest, isst zu Abend, sitzt eventuell auf der Veranda und schwatzt eine Weile mit McGovern oder Lois Chasse. Und dann? Du liest noch ein bisschen, siehst noch ein bisschen fern, spülst das Geschirr, gehst ins Bett. Du sitzt
nur rum. Langweilig. Kein Wunder, dass du so früh aufwachst.
Nur war das Quatsch. Es hörte sich an, als würde er Herumsitzen, richtig, kein Zweifel, aber in Wirklichkeit tat er das nicht. Der Garten war ein gutes Beispiel. Was er da draußen tat, würde ihm nie irgendwelche Preise einbringen, aber es war auch weitaus mehr als nur »herumwerkeln«. An den meisten Nachmittagen jätete er, bis der Schweiß einen dunklen Baumumriss auf den Rücken seines Hemdes malte und feuchte Ringe unter den Achseln bildete, und wenn er wieder ins Haus ging, zitterte er nicht selten vor Erschöpfung. »Strafe« wäre wahrscheinlich ein treffenderes Wort
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