Schlaflos - Insomnia
rümpfte die Nase. »Dan Daltons Laden? Da schau ich überhaupt nicht rein, wenn es sich vermeiden lässt. Verdirbt mir den Appetit. Hat er etwas Neues und Ekelerregendes im Schaufenster?«
»Ich glaube , es ist neu - es ist nicht so vergilbt wie die anderen, und außerdem weist es einen beachtlichen Mangel an Fliegendreck auf. Sieht aus wie ein Steckbrief, aber die Fotos zeigen Susan Day.«
»Susan Day auf einem - dieser Mistkerl!« Er warf einen finsteren, humorlosen Blick auf das Geschäft nebenan.
»Was ist sie, Präsidentin der National Organization of Women, oder so?«
»Expräsidentin und Gründerin von Sisters in Arms. Autorin von Der Schatten meiner Mutter und Lilien im Tal - das ist eine Studie über geprügelte Frauen, und warum so viele sich weigern, die Männer zu verpfeifen, die sie prügeln. Dafür hat sie den Pulitzerpreis gewonnen. Susie Day
ist augenblicklich eine der drei oder vier politisch einflussreichsten Frauen in Amerika, und sie kann auch so gut schreiben, wie sie denkt. Dieser Clown weiß , dass ich eine ihrer Petitionen gleich neben der Ladenkasse liegen habe.«
»Was für Petitionen?«
»Wir versuchen, sie zu einem Vortrag hierher zu holen«, sagte Davenport. »Du weißt doch, dass die Recht-auf-Leben-Fraktion vergangene Weihnachten einen Bombenanschlag auf WomanCare versucht hat, oder?«
Ralph sah im Geiste argwöhnisch in die schwarze Grube, in der er Ende 1992 gelebt hatte, und sagte: »Nun, ich erinnere mich, dass die Polizei einen Mann mit einem Kanister Benzin auf dem Parkplatz des Krankenhauses geschnappt hat, aber ich wusste nicht …«
»Das war Charlie Pickering. Er ist Mitglied von Daily Bread, einer der Recht-auf-Leben-Gruppen, die da draußen die Demonstranten am Marschieren halten«, sagte Davenport. »Sie haben ihn dazu angestiftet - das garantier ich dir. Aber dieses Jahr werden sie sich nicht mit Benzin abgeben; sie wollen den Stadtrat dazu bringen, die Bezirksvorschriften zu ändern und WomanCare einfach rauszudrängen. Und möglicherweise gelingt ihnen das auch. Du kennst ja Derry, Ralph - es ist nicht gerade eine Hochburg des Liberalismus.«
»Nein«, sagte Ralph mit einem schwachen Lächeln. »Das ist es nie gewesen. Und WomanCare ist eine Abtreibungsklinik, oder nicht?«
Davenport warf ihm einen ungeduldigen Blick zu und nickte mit dem Kopf in Richtung des Secondhand Rose. »So sagen Arschlöcher wie der da dazu«, sagte er, »nur benutzen sie lieber das Wort Fabrik statt Klinik . Sie übersehen
alles andere, das WomanCare macht.« Für Ralph hörte sich Davenport nun ein wenig wie der Fernsehsprecher an, der zwischen dem Sonntagnachmittagsfilm laufmaschenfreie Strumpfhosen anpries. »Sie machen Familienberatung, sie kümmern sich um missbrauchte Frauen und Kinder, und sie leiten ein Frauenhaus drüben an der Stadtgrenze von Newport. Sie haben ein Hilfszentrum für Vergewaltigungsopfer im städtischen Gebäude beim Krankenhaus und eine Telefonbetreuung rund um die Uhr für vergewaltigte und misshandelte Frauen. Kurz gesagt, sie stehen für all die Dinge, bei denen Marlboro-Männer wie Dalton aus allen Rohren feuern.«
»Aber sie machen Abtreibungen«, sagte Ralph. »Deshalb die Demonstranten, richtig?«
Ralph kam es so vor, als würden seit Jahren Demonstranten vor dem flachen, unscheinbaren Backsteingebäude auf und ab gehen, in dem WomanCare untergebracht war. Ihm kamen sie immer zu blass vor, zu fanatisch, zu mager oder zu fett, zu überzeugt, dass sie Gott auf ihrer Seite hatten. Auf den Transparenten, die sie trugen, standen Sachen wie AUCH DIE UNGEBORENEN HABEN RECHTE oder LEBEN, WAS FÜR EINE WUNDERBARE ENTSCHEIDUNG und der unsterbliche Klassiker ABTREIBUNG IST MORD! Mehrmals waren Frauen, die die Klinik aufgesucht hatten - die in der Nähe des Derry Home lag, aber nichts damit zu tun hatte, glaubte Ralph - bespuckt worden.
»Ja, sie führen Abtreibungen durch«, sagte Ham. »Hast du ein Problem damit?«
Ralph dachte an die vielen Jahre, in denen er und Carolyn versucht hatten, ein Baby zu bekommen - Jahre, die
nichts weiter als mehrere Fehlalarme und eine einzige katastrophale Fehlgeburt nach fünf Monaten hervorgebracht hatten - und zuckte die Achseln. Plötzlich schien der Tag zu heiß und seine Beine zu müde zu sein. Der Gedanke an den Rückweg - besonders die Strecke den Up-Mile Hill hinauf - hing im hinteren Teil seines Verstands wie etwas, was an einer Leine mit Angelhaken aufgehängt worden ist. »Herrgott, ich weiß nicht«, sagte er.
Weitere Kostenlose Bücher