Schlaflos - Insomnia
Parkplatz, überall standen kleine Gruppen beisammen und betrachteten das Gebäude. Die meisten waren Frauen. Einige hatten Picknickkörbe dabei, manche weinten, fast alle trugen einen schwarzen Trauerflor am Arm. Ralph sah eine Frau mittleren Alters mit einem erschöpften,
intelligenten Gesicht und einem dichten grauen Haarschopf, die die schwarzen Bänder aus einer Tragetasche verteilte. Sie trug ein T-Shirt mit dem Gesicht von Susan Day darauf und dem Schriftzug WE SHALL OVERCOME.
Auf der Durchfahrt vor den Eingangstüren des Bürgerzentrums herrschte noch emsigere Betriebsamkeit als auf dem Parkplatz. Nicht weniger als sechs Übertragungswagen diverser Fernsehsender parkten dort, und verschiedene Technik-Crews standen in kleinen Gruppen unter dem dreieckigen Beton-Vordach und unterhielten sich darüber, wie sie das Ereignis des heutigen Abends anpacken wollten. Und laut dem bettlakengroßen Banner, das von dem Vordach herabhing und träge im Wind flatterte, würde die Veranstaltung nicht ausfallen. KUNDGEBUNG FINDET STATT, stand in großen, verschwommenen Buchstaben aus Spraydosenfarben darauf. 20.00 UHR. BEWEISEN SIE IHRE SOLIDARITÄT, ZEIGEN SIE IHRE WUT, TRÖSTEN SIE IHRE SCHWESTERN.
Joe schob den Schalthebel des Fords auf Parken, dann drehte er sich zu dem alten Dor um und zog die Brauen hoch. Dor nickte, worauf Joe Ralph ansah. »Ich schätze, hier müssen Sie und Lois aussteigen, Ralph. Viel Glück. Ich würde mit Ihnen kommen, wenn ich könnte - ich habe ihn sogar darum gebeten -, aber er sagt, ich bin nicht richtig ausgerüstet.«
»Schon gut«, sagte Ralph. »Wir danken Ihnen für alles, was Sie getan haben, nicht wahr, Lois?«
»Ganz bestimmt«, sagte Lois.
Ralph griff nach der Türklinke, dann ließ er sie wieder los. Er drehte sich zu Dorrance um. »Worum geht es hier?
Ich meine, wirklich? Es geht nicht darum, die zweitausend Menschen zu retten, die laut Klotho und Lachesis heute Abend hier anwesend sein werden, so viel steht fest. Für diese ewigen Mächte, von denen sie gesprochen haben, sind zweitausend Menschenleben wahrscheinlich nichts weiter als ein Tropfen mehr Schmieröl im Getriebe. Also worum geht es? Warum sind wir hier?«
Nun verschwand Dorrance’ Grinsen endlich; ohne das sah er jünger und seltsam eindrucksvoll aus. »Hiob hat Gott dieselbe Frage gestellt«, sagte er, »und keine Antwort erhalten. Du wirst auch keine bekommen, aber so viel kann ich dir verraten: Du bist zum Angelpunkt gewaltiger Ereignisse und Kräfte geworden. Das Wirken des höheren Universums ist fast vollständig zum Stillstand gekommen, da sowohl der Plan wie auch der Zufall ihr Augenmerk darauf richten, welche Fortschritte du machst.«
»Das ist prima, aber ich verstehe es nicht«, sagte Ralph mehr resigniert als wütend.
»Ich ebenso wenig, aber zweitausend Menschenleben sind ausreichend für mich«, sagte Lois leise. »Ich könnte nicht mehr weiterleben, wenn ich nicht mindestens versuchen würde, zu verhindern, was geschehen soll. Ich würde den Rest meines Lebens vom Leichentuch über diesem Gebäude träumen. Selbst wenn ich nur eine Stunde pro Nacht schlafen könnte, würde ich davon träumen.«
Ralph dachte darüber nach, dann nickte er. Er machte die Tür auf und schwang einen Fuß heraus. »Das ist ein gutes Argument. Außerdem wird Helen da sein. Möglicherweise bringt sie sogar Nat mit. Vielleicht ist das für unbedeutende kurzfristige Fürze wie uns schon genug.«
Und vielleicht, dachte er, möchte ich eine Revanche mit Doc Nr. 3.
O Ralph, stöhnte Carolyn. Clint Eastwood? Schon wieder?
Nein, nicht Clint Eastwood. Und auch nicht Sylvester Stallone oder Arnold Schwarzenegger. Nicht einmal John Wayne. Er war kein großer Action-Held oder Filmstar; er war nur der gute alte Ralph Roberts aus der Harris Avenue. Aber deshalb war der Groll, den er gegen den Doc mit dem rostigen Skalpell hegte, nicht weniger real. Und dieser Groll wurde von weit mehr genährt als einem streunenden Hund und einem pensionierten Geschichtslehrer, der die letzten zehn Jahre oder so ein Stockwerk unter ihm gewohnt hatte. Ralph musste immerzu an den Salon in High Ridge denken, und an die Frauen, die unter dem Plakat von Susan Day an die Wand gelehnt worden waren. Aber vor seinem geistigen Auge tauchte nicht der Bauch der schwangeren Merrilee auf, sondern Gretchen Tillburys Haar - ihr wunderschönes blondes Haar, das der Schuss aus nächster Nähe verbrannt hatte, als er ihr das Leben nahm. Charlie Pickering hatte
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