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Schlaflos - Insomnia

Titel: Schlaflos - Insomnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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zu schlafen … oder ein bisschen länger.
    Er nahm Lois’ Hand und sie folgten weiter der Spur von Atropos.

6
    Zwölf Meter östlich des Sturmzauns an der Grenze des Flughafens endeten die rostigen Schienen. Atropos’ Spur allerdings führte weiter, wenn auch nicht lange; Ralph war sich ziemlich sicher, dass er die Stelle sehen konnte, an der sie endete, und das Bild, dass er und Lois an die Speichen eines großen Rads gebunden waren, kam ihm wieder in den Sinn. Wenn er recht hatte, dann war Atropos’ Unterschlupf nur einen Steinwurf von der Stelle entfernt, an der Ed auf den dicken Mann mit den Düngerfässern auf der Ladefläche seines Pick-ups gestoßen war.
    Windstöße trugen einen ekelhaften, fauligen Geruch aus unmittelbarer Nähe herbei, und aus etwas größerer Entfernung die Stimme von Faye Chapin, der jemandem mit seinem Lieblingsthema in den Ohren lag: »… was ich immer sage! Mah-Jongg ist wie Schach, Schach ist wie das Leben, wenn man also eins von beiden spielen kann …« Der Wind legte sich wieder. Ralph konnte Fayes Stimme immer noch hören, wenn er die Ohren spitzte, aber die einzelnen Worte bekam er nicht mehr mit. Aber das machte nichts. Er hatte die Ansprache oft genug gehört und wusste ziemlich gut, wie sie ging.
    [»Ralph, dieser Gestank ist grässlich! Das ist er, nicht wahr?«]

    Er nickte, glaubte aber nicht, dass Lois ihn sah. Sie hielt seine Hand fest umklammert und sah mit großen Augen starr geradeaus. Die fleckige Spur, die vor den Türen des Bürgerzentrums angefangen hatte, endete zweihundert Fuß entfernt am Stamm einer windschiefen abgestorbenen Eiche. Die Ursache für das Absterben des Baums und der Grund, warum er nun so schief dastand, waren offensichtlich: Eine Seite des stattlichen Relikts war von einem Blitz wie eine Banane geschält worden. Die Risse und Furchen und Wölbungen der grauen Rinde schienen die Umrisse halb versunkener Gesichter zu bilden, die lautlose Schreie ausstießen, und der Baum streckte die nackten Äste wie grimmige Schriftzeichen in den Himmel … sie hatten, jedenfalls in Ralphs Fantasie, eine unheimliche Ähnlichkeit mit den japanischen Schriftzeichen für Kamikaze . Der Blitz, der das Ende des Baums besiegelte, hatte ihn nicht umwerfen können, aber er hatte sich auf jeden Fall größte Mühe gegeben. Der Teil des verzweigten Wurzelsystems, das sich dem Flughafen zuwandte, war aus dem Boden herausgerissen worden. Diese Wurzeln waren unter dem Maschendrahtzaun hindurchgewachsen und hatten ihn ein Stück weit in die Höhe gedrückt, eine glockenförmige Kurve, bei deren Anblick Ralph zum ersten Mal seit Jahren an einen Freund aus Kindertagen namens Charles Engstrom denken musste.
    »Spiel nicht mit Chuckie«, pflegte Ralphs Mutter zu sagen. »Er ist ein schmutziger Junge.« Ralph wusste nicht, ob Chuckie ein schmutziger Junge war oder nicht, aber er war total Banane, das stand fest. Chuckie Engstrom versteckte sich gern mit einem langen Zweig, den er seinen »Spickestab« nannte, hinter dem Baum im Vorgarten seines
Hauses. Wenn eine Frau im Rock vorbeikam, schlich Chuckie ihr auf Zehenspitzen hinterher, steckte den Zweig unter den Rocksaum und hob ihn hoch. Meistens konnte er die Farbe der Unterwäsche erkennen (die Farbe von Damenunterwäsche faszinierte Chuckie ungeheuer), ehe der Frau klar wurde, was vor sich ging, und sie den heftig kichernden Jungen bis zu seinem Haus verfolgte und drohte, sie würde es seiner Mutter erzählen. Der Flughafenzaun, den die Wurzeln der alten Eiche aus dem Boden gezogen und nach oben gedrückt hatten, erinnerte Ralph daran, wie die Röcke von Chuckies Opfern ausgesehen hatten, wenn er sie mit seinem Spickestab hochgehoben hatte.
    [»Ralph?«]
    Er sah sie an.
    [»Wer ist Piggy Stab? Und warum denkst du ausgerechnet jetzt an ihn?«]
    Ralph prustete vor Lachen.
    [»Hast du das in meiner Aura gesehen?«]
    [»Wahrscheinlich - ich kann es inzwischen nicht mehr genau sagen. Wer ist er?«]
    [»Erzähl ich dir ein andermal. Komm jetzt.«]
    Er nahm ihre Hand und sie gingen langsam auf die Eiche zu, an der Atropos’ Spur endete, in den immer stärkeren Fäulnisgeruch hinein, der seine Duftnote war.

Kapitel 25

1
    Sie standen am Fuß der Eiche und sahen nach unten. Lois nagte wie besessen an ihrer Unterlippe.
    [»Müssen wir da runter, Ralph? Müssen wir wirklich?«]
    [»Ja.«]
    [»Aber warum? Was sollen wir tun? Etwas zurückholen, das er gestohlen hat? Ihn töten? Was?«]
    Er wusste es nicht, davon abgesehen, dass er

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