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Schlaflos - Insomnia

Titel: Schlaflos - Insomnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Joes Kamm und Lois’ Ohrringe wiederhaben wollte … aber er war sich sicher, er würde es wissen, sie beide würden es wissen, wenn der Zeitpunkt gekommen war.
    [»Ich glaube, im Augenblick sollten wir einfach nur in Bewegung bleiben, Lois.«]
    Der Blitz hatte wie eine kräftige Hand gewirkt, den Baum brutal nach Osten gestoßen und gleichzeitig ein klaffendes Loch am Wurzelansatz der Westseite gerissen. Für einen Mann oder eine Frau mit dem Sehvermögen der Kurzfristigen hätte dieses Loch zweifellos dunkel ausgesehen - und vielleicht ein wenig Furcht einflößend, denn die Ränder bröckelten und die kaum sichtbaren Wurzeln wanden sich im Inneren wie Schlangen -, aber ansonsten nicht besonders ungewöhnlich.
    Ein Kind mit einer ausgeprägten Fantasie würde vielleicht mehr sehen, dachte Ralph. Der dunkle Raum unter
dem Baumstamm weckt vielleicht Gedanken an Piratenschätze … Verstecke von Banditen … die Höhle eines Trolls …
    Aber Ralph glaubte, dass nicht einmal das fantasievollste Kind das düstere rote Leuchten würde sehen können, das unter dem Baum hervordrang, oder dass die sich windenden Wurzeln in Wirklichkeit holperige Sprossen waren, die an einen unbekannten (und zweifellos unerfreulichen) Ort hinabführten.
    Nein - nicht einmal ein fantasievolles Kind würde diese Dinge sehen … aber möglicherweise spüren .
    Richtig. Und wenn es genügend Verstand hatte, würde es anschließend weglaufen, als wären ihm sämtliche Dämonen der Hölle auf den Fersen. Ebenso wie er und Lois dies täten, wenn sie der Vernunft gehorchen würden. Ginge es nicht um Lois’ Ohrringe. Ginge es nicht um Joe Wyzers Kamm. Ginge es nicht um seinen eigenen verlorenen Platz im Plan. Und ginge es natürlich nicht um Helen (und möglicherweise Nat) und die zweitausend anderen, die sich heute Abend im Bürgerzentrum aufhalten würden. Lois hatte recht. Sie mussten etwas tun, und wenn sie jetzt kniffen, würde dieses Etwas für immer ungeschehenes Geschehen bleiben.
    Und das sind die Seile, dachte er. Die Seile, mit denen die Mächtigen uns arme, verwirrte kurzfristige Kreaturen an ihr Rad fesseln.
    Er stellte sich Klotho und Lachesis nun durch eine helle Linse des Hasses vor, und er dachte, wenn die beiden jetzt hier wären, hätten sie einen ihrer unsicheren Blicke gewechselt und wären rasch einen Schritt oder zwei zurückgewichen.

    Und dazu hätten sie allen Grund gehabt, dachte er. Allen Grund.
    [»Ralph? Was ist los? Warum bist du so wütend?«]
    Er hob ihre Hand an die Lippen und küsste sie.
    [»Nichts weiter. Komm mit. Gehen wir, bevor wir den Mut verlieren.«]
    Sie sah ihn noch einen Moment an, dann nickte sie. Und als Ralph die Beine in das klaffende, mit Wurzeln eingefasste Loch am Fuß des Baums steckte, war sie direkt neben ihm.

2
    Ralph rutschte auf dem Rücken unter den Baum und hielt die freie Hand vor das Gesicht, damit ihm keine Erde in die offenen Augen fiel. Er versuchte, nicht zusammenzuzucken, wenn Wurzeln ihm über den Hals strichen oder sich ihm in den Rücken bohrten. Der Geruch unter dem Baum, ein Übelkeit erregender Affenhausgestank, löste bei ihm Brechreiz aus. Er konnte sich einreden, dass er sich daran gewöhnen würde, bis er ganz unter dem Loch in der Eiche war, doch dann ging es nicht mehr. Er stützte sich auf einen Ellbogen und spürte, wie kleinere Wurzeln nach seiner Kopfhaut griffen und baumelnde Rindenstücke ihm die Wangen kitzelten, und dann gab er das gesamte Frühstück von sich, das sich noch im Vorratstank befand. Er konnte hören, wie Lois links von ihm seinem Beispiel folgte.
    Ein schrecklicher, von Schwindel begleiteter Schwächeanfall überflutete ihn wie eine Welle am Strand. Der Gestank war so überwältigend, dass er ihn fast zu essen schien,
und er konnte die rote Substanz, der sie zu diesem Ort des Grauens unter dem Baum gefolgt waren, überall auf seinen Händen und Armen sehen. Allein der Anblick von diesem Zeug war schlimm gewesen; jetzt badete er regelrecht darin, um Gottes willen.
    Etwas griff nach seiner Hand, und er ließ sich fast von seiner Panik übermannen, bis ihm klar wurde, dass es Lois war. Er verschränkte seine Finger mit ihren.
    [»Ralph, du musst ein Stückchen emporsteigen! Dann ist es besser! Du kannst atmen!«]
    Er begriff sofort, was sie meinte, und musste sich zusammenreißen, sich im letzten Moment wieder tiefer sinken zu lassen. Hätte er das nicht getan, wäre er wie eine Rakete mit vollem Schub die Leiter der Wahrnehmung

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