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Schlaflos - Insomnia

Titel: Schlaflos - Insomnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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hier.
    Lois ging wie hypnotisiert auf den zweiten Torbogen zu. Ihre Lippen bebten vor Entsetzen, aber in ihren Augen stand eine hilflose Neugier - ganz bestimmt hatte Blaubarts Frau denselben Gesichtsausdruck gehabt, als sie den Schlüssel im Schloss des verbotenen Zimmers ihres Mannes umgedreht hatte, dessen war er sich gewiss. Ralph war plötzlich überzeugt, dass Atropos mit hoch erhobenem rostigen Skalpell direkt hinter diesem Torbogen lauern würde. Er eilte hinter Lois her und hielt sie gerade noch rechtzeitig auf, bevor sie durchgehen konnte. Er umfasste ihren Oberarm, legte einen Finger an die Lippen und schüttelte den Kopf, bevor sie sprechen konnte.
    Er kauerte sich nieder und stützte die Finger einer Hand auf den gestampften Boden, wodurch er wie ein Läufer aussah, der auf den Knall der Startpistole wartet. Dann schnellte er durch den Torbogen (und genoss die blitzschnelle Reaktion seines Körpers selbst in diesem Augenblick), landete auf der Schulter und rollte sich ab. Mit den Füßen traf er eine Pappschachtel, die ein Durcheinander von Gegenständen preisgab, als sie umkippte: Handschuhe und Socken, die nicht zusammenpassten, ein paar alte Taschenbücher, ein Paar Bermudashorts, einen Schraubenzieher
mit einer rostroten Substanz - möglicherweise Farbe oder Blut - auf der Stahlklinge.
    Ralph ließ sich auf die Knie sinken und sah zu Lois, die unter dem Torbogen stand, die Hände unters Kinn haltend. Es war niemand neben dem Torbogen zu sehen, und es hätte auch niemand Platz gehabt. Auf beiden Seiten waren weitere Kartons gestapelt. Ralph las mit gedankenverlorener Verwunderung die Aufschriften: Jack Daniel’s, Gilbey’s, Smirnoff, J&B. Atropos war offenbar ebenso verrückt nach Spirituosenkartons wie alle anderen, die es nicht fertigbrachten, etwas wegzuwerfen.
    [»Ralph? Ist es ungefährlich?«]
    Das Wort war ein Witz. Aber er nickte und streckte die Hand aus. Sie kam hastig zu ihm, zog unterwegs noch einmal heftig den Unterrock hoch und sah sich mit wachsendem Staunen um.
    Von der anderen Seite des Torbogens in Atropos’ trostloser kleiner Wohnung hatte dieser Stauraum groß ausgesehen. Jetzt, wo sie tatsächlich darin standen, sah Ralph, dass er mehr als das war; Räume dieser Größe nannte man normalerweise Lagerhallen. Gänge verliefen zwischen gewaltigen, wackeligen Türmen aus Gerümpel. Nur die Sachen direkt an der Tür waren in Kartons verstaut; der Rest lag bunt durcheinandergewürfelt und bildete etwas, was zu zwei Teilen Irrgarten und zu drei Teilen eine Falle war. Ralph kam zum Ergebnis, dass nicht einmal das Wort Lagerhalle eine hinreichende Beschreibung bot - dies war ein unterirdischer Vorort, und Atropos konnte überall lauern … und wenn er hier war, beobachtete er sie wahrscheinlich.
    Lois fragte nicht, was sie da vor sich hatten; er sah ihrem Gesicht an, dass sie es bereits wusste. Als sie das Wort ergriff,
sprach sie mit einer verträumten Stimme, die Ralph eine Gänsehaut über den Rücken jagte.
    [»Er muss so ungeheuer alt sein, Ralph.«]
    Ja. So ungeheuer alt.
    Zwanzig Schritte weiter weg konnte Ralph in dem Raum, der von demselben geisterhaften roten Leuchten wie die Treppe erhellt wurde, ein großes Speichenrad auf einem Rohrstuhl liegen sehen, der wiederum auf einer splitterigen alten Wäschemangel stand. Beim Anblick dieses Rades fröstelte ihn noch mehr; es war, als wäre die Metapher, die er sich im Geiste zurechtgelegt hatte, um das Prinzip des Ka zu versinnbildlichen, plötzlich real geworden. Dann bemerkte er das rostige Eisenband um das Rad herum und überlegte sich, dass es wahrscheinlich aus den »Gay Nineties«, den fröhlichen Neunzigerjahren des 19. Jahrhunderts, stammte, von einem jener Fahrräder, die wie zu groß geratene Dreiräder aussahen.
    Es ist tatsächlich der Reifen eines Fahrrads, und er ist mindestens hundert Jahre alt, dachte er. Der Gedanke führte ihn zu der Frage, wie viele Menschen - wie viele Tausende und Zehntausende - in und um Derry gestorben waren, seit Atropos dieses Rad irgendwie hier heruntergeschafft hatte. Und wie viele von diesen Tausenden waren Tode des Zufalls gewesen?
    Und wie weit geht er zurück? Wie viele Jahrhunderte?
    Das konnte man selbstverständlich unmöglich sagen; möglicherweise bis zum Anbeginn der Zeit, wann immer und wie immer der auch gewesen sein mochte. Und während dieser ganzen Zeit hatte er von jedem, den er sich vorgeknöpft hatte, ein kleines Andenken genommen … und hier waren sie alle.

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